Für Missstände haften

Für Missstände haften

Vorbei sind die Zeiten, als Unternehmen für die Geschäftspraktiken ihrer Zulieferer nicht haftbar waren. Seit Anfang 2023 weht ein neuer Wind.

#leanmagazin
am 17. 04. 2023 in LeanMagazin von LKB *)


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Was ist 36 Buchstaben lang und weitet die unternehmerische Sorgfaltspflicht aus?

Klar! Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Kurz LkSG. Seit dem 01.01.2023 müssen Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden in Deutschland sicherstellen, dass ihre Lieferanten für Produkte und Dienstleistungen die Menschenrechte und Umweltstandards achten.

Das gilt auch für Automobilhersteller wie Porsche. Der verwendet den Rohstoff Mica, ein Glimmerprodukt, das auch in Fahrzeuglack steckt.  Dieses wird in Minen in Indien und Madagaskar abgebaut. Mit dem neuen LkSG erstreckt sich jetzt also die Sorgfaltspflicht eines Unternehmens aus Stuttgart auf die Arbeitsbedingungen bei einem Zulieferer in Indien, wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf seiner Webseite in einigen Videos erklärt und Beispiele für die Umsetzung des neuen Gesetzes zeigt.

Regelmäßige Risikoanalyse

Eine, der konkreten Auswirkungen des LkSG für Industrieunternehmen ist nun eine Risikoanalyse, die sie periodisch durchführen müssen: Nach Warengruppen und Länderrisiko untersuchen die Firmen ihre Lieferanten, ob diese etwa bei der Rohstoffgewinnung oder Herstellung von Vorprodukten die Maßgaben für die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards beachten. Dabei geht es laut dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nicht darum, überall in der Welt deutsche Sozialstandards umzusetzen, sondern um die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards. So soll Kinder- und Zwangsarbeit verhindert, Arbeitsschutz gewährleistet, Diskriminierung unterbunden und für ein angemessenes Lohnniveau gesorgt werden. 

Auch Umweltrisiken können zu Menschenrechtsverletzungen führen: vergiftetes Wasser, Luftverschmutzung, Verwendung von Chemikalien und Pestiziden oder illegale Abholzung sind Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten der Unternehmen.

Risiken in der Rohstoffgewinnung

Experten gehen davon aus, dass die Erarbeitung der Risikoanalyse zu erheblichem internen Organisationsaufwand im strategischen und operativen Einkauf sowie in der Compliance-Abteilung führt. Prozesse müssen sicherstellen, dass diese komplexe Analyse kontinuierlich durchgeführt werden kann. 

Der Automobilhersteller BMW hat etwa 12.000 Lieferanten in 70 Ländern. In der Risikoanalyse stellte der Konzern fest, dass besonders hohe Risiken in der Rohstoffgewinnung liegen. Mithilfe von länder- und warengruppenspezifischen Risikodatenbanken untersuchte BMW alle Lieferantenstandorte hinsichtlich ihres Risikopotenzials. 

Den Kreis erweitern

Laut BMZ sind im Jahr 2023 etwa 900 Unternehmen vom LkSG betroffen. Denn auch solche, die eine Zweigniederlassung haben und vom Paragraf 13d HGB umfasst sind, fallen unter das Gesetz. Ab dem Jahr 2024 wird der Kreis erweitert. Dann gilt das LkSG auch für Firmen mit 1000 Mitarbeitenden, was etwa weitere 4800 Unternehmen betrifft. Das zieht weite Kreise: Sobald eine Firma unter das LkSG fällt, muss diese auch Zulieferer überprüfen, die aufgrund der Mitarbeiterzahl zunächst nicht der neuen Sorgfaltspflicht unterliegen. Im Jahr 2024 soll das LkSG überprüft werden. Experten gehen davon aus, dass das europäische LkSG, das 2025 kommen könnte, strenger sein wird als das deutsche. 

Maßnahmen zur Risikominimierung

Haben die Unternehmen Risiken ermittelt, müssen sie Maßnahmen ergreifen, um diese zu beseitigen oder zu minimieren. Dafür müssen sie innerhalb des Unternehmens festgelegen, wer intern für diese Aufgaben zuständig und verantwortlich ist.

Ein Konzern wie BMW, der mehr als 30 Rohstoffe in der Produktion verwendet, schließt sich auch Verbänden an, die sich auf bestimmte Rohstoffe spezialisiert haben. Für Aluminium etwa – einem der meistverarbeiteten Rohstoffe – beteiligt sich BMW an der Aluminium Stewart Initiative, die sich auf die verantwortungsbewusste Beschaffung und Produktion spezialisiert hat. 

Anders der Textilhersteller Dibella, der sich bei seinen Baumwolllieferanten vor Ort einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen verschafft. So erfährt der Unternehmer direkt, welche Auswirkungen sein Geschäft auf die Menschen und ihre Rechte hat. Maßnahmenkataloge, die vertragliche Vereinbarungen, Schulungen und Mitbestimmungsmodelle vorsehen, minimieren Risiken der Menschenrechtsverletzung.

Bußgeld bei Verstoß

Können die Unternehmen nicht für faire Lieferketten sorgen, müssen sie sich neue Zulieferer etwa in Ländern suchen, in denen die Risiken gering sind. Auch die Anzahl der Lieferanten zu reduzieren, kann den Umfang der Kontrollen verringern und für die eigene Rechtssicherheit sorgen. Denn die Bußgelder bei Verstößen gegen das LkSG können bis zu 8 Millionen Euro und bei einem Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro 2 Prozent des Umsatzes betragen. Zudem können Unternehmen, die gegen das LkSG verstoßen, mit dem Ausschluss von öffentlichen Vergaben sanktioniert werden.

Beschwerdeverfahren

Laut LkSG müssen die Unternehmen für die Mitarbeitenden innerhalb ihrer Lieferkette eine Möglichkeit schaffen, Beschwerde einlegen zu können. Dies soll frei zugänglich, anonym und in der Landessprache der Beschaffungsländer verfügbar sein. Dabei sollen nicht nur die unmittelbar Betroffenen auf Risiken oder Verletzungen hinweisen können, sondern auch Außenstehende, die davon wissen – egal, ob sie betroffen sind oder nicht. 

Das Technologieunternehmen Bosch hat extra für diesen Zweck ein Online-Tool entwickelt und schult seine Lieferanten im Umgang damit. Kleinere Unternehmen, wie etwa der Bekleidungshersteller Vaude, schließen sich unternehmensübergreifend zusammen, um die Kosten für ein solches Beschwerde-Tool zu reduzieren und den Druck auf Produzenten zu erhöhen, sollte es zu Beschwerden kommen.

Schadensersatzanspruch vor deutschem Gericht

Auf diese Weise können auch präventiv Risiken entdeckt und ausgeräumt werden. Denn der Arm des LkS-Gesetzes reicht weit: Sollte es zu Menschenrechtsverletzungen in den Beschaffungsländern kommen, können Betroffene ihre Schadensersatzansprüche nicht nur vor deutschen Gerichten geltend machen, sondern auch Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einreichen. Jedoch gelten für die Hersteller zivilrechtlich weiterhin die bestehenden Haftungsregeln nach deutschem und ausländischem Recht.

Verantwortung anerkennen

Die unternehmerische Sorgfaltspflicht reicht mit dem LkSG über die deutschen Grenzen hinaus. Das Gesetz sieht vor, dass die Unternehmen ihre Verantwortung in einer Grundsatzerklärung anerkennen und veröffentlichen. Darin sollen sie ihre Menschenrechtsstrategie benennen, über die umweltbezogenen und menschenrechtlichen Risiken aus ihrer Analyse berichten, das Beschwerdewesen und die Maßnahmen beschreiben, die sie zur Prävention oder Beseitigung der Risiken ergriffen haben. In dieser Erklärung formulieren die Hersteller auch ihre Erwartungen gegenüber ihren Lieferanten. Wie auch andere Grundsatzpapiere, wird dieses von der Unternehmensleitung verabschiedet und die Zuständigen für die Einhaltung und Umsetzung darin genannt werden. Das Unternehmen muss diese Erklärung immer wieder überprüfen und den ändernden Rahmenbedingungen anpassen. 

Aber nicht alle Industrien sind in demselben Maße vom LkSG betroffen. Abhängig von importierten Vorleistungen weiten sich laut BMZ die Sorgfaltspflichten vor allem für die Textilindustrie, Elektronikhersteller sowie für die chemische und pharmazeutische Industrie aus.

Zur Berichterstattung verpflichtet

Neben den Pflichten zur Risikoanalyse und zu Abhilfemaßnahmen, sind die Unternehmen auch zur Berichterstattung verpflichtet. Einerseits werden die Unternehmen fortlaufend intern dokumentieren, in welcher Weise sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllen. Andererseits müssen die Unternehmen einmal im Jahr dem BAFA einen Bericht vorlegen, in dem sie darlegen, ob und welche menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken sie identifiziert und was sie zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten unternommen haben. 

Darüber hinaus müssen die Firmen die Auswirkungen und die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen bewerten sowie Schlussfolgerungen für zukünftige Maßnahmen ziehen. Dieser Bericht muss spätestens vier Monate nach Ende des Geschäftsjahres elektronisch eingereicht und auf der Unternehmenswebseite für einen Zeitraum von sieben Jahren veröffentlich werden. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse können bei der Veröffentlichung geschützt werden. Das Berichtsformat ist noch nicht bekannt, der Fragenkatalog dazu ist bereits verfügbar.

Menschenrechte als Auswahlkriterium

Was für einige Unternehmen zur lästigen Pflicht wird, ist für andere ein willkommenes Marketinginstrument. Die Firma Haas Magnettechnik etwa erklärt, dass seine Kunden bei der Auswahl der Zulieferer auch auf die Aktivitäten zum Schutz der Menschenrechte achten. Daher berichte das Unternehmen seit längerem nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex. So auch der Automobilkonzern Daimler, der seit 15 Jahren einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht und intern einen Nachhaltigkeitsnewsletter verbreitet.

*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns Carolin Wilms beauftragt.



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