Esoterische Quacksalberei in Training und Coaching

Esoterische Quacksalberei in Training und Coaching

Man wird sie wohl nicht so schnell vergessen, die quirlige, 2011 verstorbene, multithematische Trainerin Vera Birkenbihl. Sie hatte ihr Angebot als ‚Psychologischen Supermarkt‘ betitelt. Darin befanden sich Produkte wie Numerologie, praktische Esoterik, Positives Denken und Humorologie. Sie war für eine ganze Branche Modell und Leitstern und hatte wesentlichen Anteil an der Vermarktung esoterischer und psychogemixter Inhalte in der Trainings- und Beraterszene. Das machte sie zur Millionärin.

#leanmagazin
16. Juni 2017 um 12:14 Uhr in LeanMagazin von Prof. Walter Simon


Wenn solche Produkte vom Markt angenommen werden, dann ist es legitim, sie anzubieten, dachten viele aus dem Persönlichkeits- und Erfolgsmetier. Zur klassischen Esoterik kamen die Astrologie und Graphologie, Tarotkarten, Reiki, Anthroposophie, Enneagramm, Kinesiologie, Feng-Shui, Neuro-Linguistische Programmierung, Numerologie und anderes mehr. Der Markt wurde und wird weiterhin bestückt. Die Voraussetzungen hierfür sind gut, denn 80 Prozent der Menschen sind in dieser oder jener Form esoterisch angehaucht. Sie glauben an eine Wiedergeburt, an Seelenwanderung, Hellsehen oder Wunderheilung. Diesen Prozentsatz kann man unbesorgt auf die Trainer- und Coachingzunft übertragen. Ich kenne viele Wirtschaftstrainer mit esoterischer Schlagseite, darunter prominente Namen wie Vera Birkenbihl und Horst Rückle.

Man kann die genannten Methoden und viele andere, nebst okkulten, mystischen oder irrationalen Heils- und Weltanschauungslehren mit dem Sammelbegriff Esoterik betiteln. Ihnen allen ist die Abkehr von Wissenschaftlichkeit und Vernunft gemeinsam. Das zeigt sich auch in der Interpretation von Ursache-Wirkungsbeziehung unter Nichtbeachtung physikalischer Gesetze. So sollen Sterne ebenso magisch-energetisch auf die Seele wirken wie Blütenblätter, Töne oder Edelsteine. Dahinter stehen ein angebliches Urwissen beziehungsweise Urweisheiten, die zu einer ‚richtigen‘ Weltsicht verhelfen. Das Ganze wird mit einem entsprechenden Jargon und Gestus angereichert, deren Zweck darin besteht, sie gegen Kritik abzuschirmen. Im Zweifelsfalle wird der öffentliche Diskurs verweigert. Wissenschaft und ‚Hirnmenschen, die immer alles erklären wollen‘, werden vehement abgelehnt. Wissenschaft sei monokausal und linear. Sie verkenne die Ganzheit des Menschen und der Dinge. Überhaupt, Wissenschaft und Schulmedizin, seien Verursacher vieler Probleme in der Welt. Die Wissenschaft verhindere die Wiedervereinigung des Menschen mit der Natur, dem Kosmos und dem Geist. Das paradoxe Dogma lautet: „Es ist wissenschaftlich bewiesen, daß wissenschaftliche Beweisführung nichts taugt“ (Viktor Lau). Wie beim NLP werden neue Begriffe kreiert und poliert. Das gibt pseudoakademischen Glanz und immunisiert gegen ‚ketzerische‘ Zweifel ‚rational geschädigter‘ Zeitgenossen. Eine Insidersprache stärkt das Zugehörigkeitsgefühl zur esoterischen VIP-Gemeinschaft und wirkt nach außen wie ein Schutzwall.  Manche der Begriffe dieser Sprache klingen sehr deutsch, aber sie lassen eine Denkrichtung ahnen: Energie, Licht, Geist, Seele, Reich, Resonanz, Meister, magisch, feinstofflich u.ä.m.

Bekannte Namen, großer Unsinn

Mir ist bewußt, daß jedwede Kritik an der verstorbenen Vera Birkenbihl in der Trainingsbranche als Majestätsbeleidigung gilt, aber die Dame hatte nicht nur kreative Ideen, sondern auch viel Unsinn verbreitet.  Ich erinnere an ihre Reinkarnationsphantasien, wonach die Menschen nicht nur wiedergeboren, sondern auch rückwärts re-inkarniert werden, also nochmals in ein früheres Jahrhundert zurückgeboren werden können, weil sie dort bessere Konstellationen vorfinden, ihre Lebensaufgabe zu erfüllen.

Im Jahre 1995 habe ich Vera Birkenbihl in einem Interview auf diesen Punkt angesprochen. Ihre Antwort war ein leidenschaftliches esoterisches Glaubensbekenntnis.

Auch Horst Rückle, Mitspieler in der Bundesliga der Management- und Verkaufstrainer, war vom Reinkarnationsbazillus befallen. Ich erinnere mich an ein Seminar in Rotenburg a.d.F. Anfang der 1980er-Jahre. Einen Schmerz im Arm erklärte er damit, daß er in einem seiner Vorleben Soldat war und am Arm verletzt wurde. Als ‚wissenschaftliche‘ Zeugin benannte er die Nahtodforscherin Elisabeth Kübler-Ross. Einer seiner Teamkollegen antwortete mir Jahre später auf eine entsprechende Frage: „Ja, er hat einen Esoteriktick.“

Die Namen zweier Human-Resources-Größen zeigen, wie sehr die Mitarbeiter- und Managemententwicklung in deutschen Unternehmen zu einem Verladeplatz für esoterischen Mumpitz geworden ist. Es sind angestellte, esoterisch vorprogrammierte Personalentwickler, die durch die Auswahl externer freiberuflicher Trainer und Coaches an der Verbreitung psychospiritueller Weltbilder innerhalb der Belegschaft mitwirken.
Fredmund Malik beklagt:

„Besonders schlimm wird es (…), wenn an die Stelle ernst zu nehmender Psychologie jenes eigentümliche Gemisch aus Psychoanalyse, Esoterik, New-Age-Metaphysik und Astrologie tritt… Eine bemerkenswert große Zahl kann sich dem Bann dieser Denkweise überhaupt nicht mehr entziehen, wenn er einmal entstanden ist. Das ist eines der Haupteinfalltore für Scharlatanerie und jede Art von Unfug, die in bemerkenswertem Umfang nicht etwa nur in der Managementliteratur, sondern auch in den Ausbildungsprogrammen von Unternehmen zu finden sind.“

Personalmanager Viktor Lau nennt die Protagonisten ‚Spinner in Nadelstreifen‘, so auch der Untertitel seines ‚Schwarzbuches Personalentwicklung‘* . Er sieht hier Leute am Werk, die das Rollback der Aufklärung betreiben. Vielleicht hat es sich bis in diese Kreise noch nicht herumgesprochen, daß wir den gesellschaftlichen Fortschritt, eingedenk aller Probleme, die damit verbunden sind, der Vernunft, Aufklärung und Wissenschaft verdanken.

Es muß bedenklich stimmen, daß finanzielle Ressourcen verwendet werden, um unter dem Deckmäntelchen Weiterbildung okkulten Unsinn in die Belegschaft zu transportieren. Leider schauen weder höhergestellte Führungskräfte noch Betriebsräte genau auf das, was im Seminarhotel oder Coaching in die Köpfe von unbedarften Mitarbeitern transportiert wird. Für Mitarbeiter ist klar, daß alles seine Ordnung hat. Schließlich ist die Seminareinladung vom Vorstand unterschrieben worden und ein Vier-Sterne-Hotel dient als Seminarstätte.

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