Disruption oder Selbstdisruption? Entscheiden Sie selbst
In allen Branchen wird es nun Pioniere geben, die die Digitalisierung für völlig neue, noch nie dagewesene Anwendungen nutzen. Doch niemand weiß, wann und wo das passiert. Besser also, man wird selbst disruptiv tätig, bevor es andere tun. Wer sich nicht heute erneuert, wird morgen vom Neuen verdrängt.
Disruptiv bedeutet, dass ein bestehendes Geschäftsmodell, eine bekannte Technologie, eine übliche Dienstleistung oder eine tradierte Kategorie durch eine schlagartig auftauchende Neuheit abgelöst wird. Im Gegensatz zu einer evolutionären Innovation, die Existierendes verbessert und weiterentwickelt, bezeichnet die disruptive Innovation eine radikale, bahnbrechende Verdrängung.
So löste einst auf den Weltmeeren das Dampfschiff das Segelschiff ab. Kein einziger Hersteller von Segelschiffen meisterte diesen Technologiesprung. Im Gegenteil: Man versuchte, der neuen Antriebskraft mit mehr Segeln Paroli zu bieten. Heutzutage kommen umwälzende Disruptionen vor allem von Branchenneulingen aus der Digitalwirtschaft. So ist der Onlinehandel nicht von einem stationären Händler, das internetbasierte Bezahlen nicht von einer Bank, iTunes nicht von der Musikindustrie und WhatsApp nicht von einem Telekommunikationsanbieter erfunden worden.
Disruption ist Neuland, kein Weitermachen auf vertrautem Terrain
Disruption ist kein Weitermachen im Trippelschritt-Modus auf vertrautem Terrain. Disruption ist völliges Neuland, der Sprung durch die Feuerwand der Unsicherheit. Doch darauf lässt man sich besser ein. Brandschutzmauern errichten? Bringt in diesem Fall gar nichts. Vor urplötzlichen Angriffen ist niemand sicher. Ihnen kann das nicht passieren? Sie sind ja schließlich bedeutend, und führend in Ihrer Branche! Das ist der Zukunft egal. Dem digitalen Wandel kann sich niemand entziehen.
„Ganz nett, aber erzähl niemandem davon.“ Ein Satz, der in die Geschichte einging. Zu hören bekam ihn Kodak-Mitarbeiter Steven J. Sasson beim Vorstellen seiner bereits 1975 erfundenen Digitalkamera. Der Rest ist Geschichte, was zeigt: Der technologische Fortschritt zwingt jedes Unternehmen dazu, sich immer wieder neu zu erfinden. Selbstdisruption bringt dabei ganz gezielt Produkte in den Markt, mit denen man sich selbst Konkurrenz machen kann.
Apple hat wiederholt den Mut dazu gehabt: beim iPhone, das dem iPod Marktanteile raubte und auch beim iPad, das die Mac-Verkäufe kannibalisierte. Und obwohl man sich das heute kaum vorstellen kann, wird es Handys oder Suchmaschinen in ihrer heutigen Form eines Tages nicht mehr geben. Auch Disruptoren sind nicht sicher vor Disruption. Deshalb sorgen sie vor. So hat sich Google unter der Dachmarke Alphabet mit wegweisenden Zukunftstechnologien längst neu aufgestellt.
Klassische Unternehmen: Gefangene ihrer organisationalen Methoden
In Organisationen alter Schule, in denen Abteilungsleiter regieren und jeder sein Territorium hermetisch bewacht, weil daran Vorgaben, Planzahlen und Zielerreichungsboni hängen, wird Selbstdisruption konsequent torpediert. So machen sich klassische Unternehmen zu Gefangenen ihrer eigenen Managementmoden, nämlich solchen, mit denen sie früher mal siegreich waren. Das Verteidigen veralteter Strukturen ist das Top-Hindernis auf dem Weg in die Zukunft.
Disruptionen werden von etablierten Anbietern zudem meist unterschätzt, weil sie bei ihrem Auftauchen zunächst unbedeutsam und vage erscheinen. Sie verlaufen praktisch niemals nach Plan. Sie lassen sich nicht vorbudgetieren und auch nicht bis ins Detail vorkalkulieren. Märkte, die noch nicht existieren, können nicht analysiert, höchstens hoffnungsvoll vorgeschätzt werden. Ein Alptraum für den Controller. Der will genaue Zahlen, das ist sein Geschäft.
„Haben wir denn wenigstens unsere Kunden befragt, was die dazu sagen?“ insistiert er. Besser nicht. Denn Neues ist nur in den Kategorien des Bekannten erfassbar. Wer also das vollkommen Neue mit klassischer Marktforschung bei angestammten Kunden testen will, erntet ganz sicher Fehlprognosen, etwa so: Niemand brauche ein Mobiltelefon für 500 Dollar, das nicht mal eine Tastatur hat. Von wem dieser Satz stammt? Vom früheren Microsoft-Chef Steve Ballmer 2007 in einem Interview zum ersten iPhone.
Kacheln im Handy? Die Leute wollen telefonieren! Da war sich ein hochrangiger Nokia-Manager sicher. Wenn also selbst die absoluten Vollprofis bei Disruptionen derart danebenliegen, wie will da ein „Normalo“ akkurate Vorhersagen machen? Wer dies fordert, zwingt die Leute zur Zögerlichkeit und strandet auf Nummer sicher in vertrauten Gefilden. Denn neue Business-Logiken lassen sich nicht mit alten Management-Denkmustern lösen.
Das pyramidale System: Größtes Manko auf dem Weg in die Zukunft
Unternehmen brauchen viele Kunden, jede Menge Umsatz und hohe Margen, um die geforderten Wachstumszuwächse zu erreichen. Ressourcen gehen dorthin, wo die großen Zahlen sind. Kein Marketer hängt sich in etwas Vages rein und kein Manager setzt seine Karriere aufs Spiel, solange er an Kurzfrist-Vorgaben gemessen wird. Wie soll unter solchen Umständen Disruptives entstehen?
Wer immer zuerst nach Kennzahlen fragt und das Verfehlen von Plansolls ahndet, macht sich zum Totengräber von Innovationen und Kundenzentrierung. Doch real werden Firmen sich fast immer dafür entscheiden, die bestehenden Einnahmequellen zu schützen, anstatt sich beherzt auf Neuland zu wagen. Mit oft verheerendem Ausgang, wie man regelmäßig der Presse entnimmt.
Die wahre Ursache rückt dabei allerdings kaum in den Fokus: die hoffnungslos veraltete Organisationsstruktur. Sie muss als erstes erneuert werden. Pionierunternehmen haben dies längst in Angriff genommen. Die große Mehrheit der etablierten Unternehmen hingegen klebt weiter fest an ihrem pyramidalen System. Dies ist das größte Manko auf dem Weg in die Zukunft. Wie man es besser macht? Das zeigt mein neues Buch: Die Orbit-Organisation - In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft
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