Von der Lean- oder New Work-Sehnsucht zur Renaissance in der Praxis: Eine Frage der Puzzlesteine
Mary Parker Follett, Kurt Lewin, Douglas McGregor, Peter Drucker & Co. sind meine Helden. Vor einiger Zeit, im Jahr 2014, hab ich mal ein längeres Paper über meine Helden der Führung geschrieben. Bis heute ist dieses Paper mehr als 150.000mal angeschaut, gelesen und heruntergeladen worden. Es ist wohl meine meistgelesene Online-Veröffentlichung. Diesen Helden moderner Organisationsgestaltung für das Wissenszeitalter haben wir viel zu verdanken. Wir stehen auf ihren Schultern, wie man so schön sagt. Ihre Beiträge sind wichtig. Aber in mehrfacher Hinsicht sind wir heute, gerade dank ihrer Leistungen und einiger bahnbrechender Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte, ein entscheidendes Stück weiter.
Das Problem der meisten meiner Helden war: Sie verfügten nur über einzelne Teile des Puzzles. Nicht über das ganze Puzzle. Und wir alle irgendwann lernen mussten: Wenn auch nur wenige Puzzlesteine fehlen, dann wird das Ganze niemals richtig fertig. Es kann nicht gelingen! Einige meiner Helden, die Pioniere der Beta-Organisation, darunter Taiichi Ohno, Jan Wallander, Vieve und Bill Gore, Ricardo Semler oder Götz Werner waren zwar in der Lage, ihre eigenen Organisationen nach Beta-Prinzipien aufzustellen. Aber ihre Erfahrung war anderswo nicht wiederholbar. Und dafür gab es gute Gründe, wie wir gleich sehen werden.
Inzwischen, so lautet meine Hypothese, sind wir jedoch einen entscheidenden Schritt weiter als jene Helden und Pioniere. Und das in zweierlei Hinsicht:
- Seit etwa 20 Jahren und seit der er aus meiner Sicht bahnbrechenden Forschung des Beyond Budgeting Round Table wissen wir, wie das passende Organisationsmodell für Gegenwart & Zukunft aussieht. Dieses Modell hat "lean-agile" Prinzipien, so könnte man sagen. Es zeigt auf, wie Organisationen durchgängig selbstorganisiert und diszipliniert, dezentralisiert und effizient, komplexitätsrobust und menschengerecht aufgestellt sein können. Seit dem Jahr 2008 nennen wir dieses zeitgemässe Organisationsmodell Beta oder den BetaCodex. Wir wissen also heute, wie Führung und Organisation für Höchstleistung funktioniert - branchenunabhängig und überall in der Welt - und welchen konkreten Prinzipien sie folgen müssen.
- Ebenso wichtig: Dieses Modell ist jetzt, seit Kurzem, für Organisationen aller Art "erreichbar" bzw. "machbar". Und darin besteht vielleicht der eigentliche Paradigmenwechsel. Es ist sozusagen des Pudels Kern: Wir können "den heissen lean-agilen Scheiss" inzwischen tatsächlich verwirklichen. In ganzen Organisationen - nicht nur in Teilen, Scheibchen oder Krümeln von Organisationen. Überall und zu jeder Zeit. Das bedeutet: Organisationen brauchen den gerade beschriebenen, zeitgemässen Organisationsansatz nicht mehr nur bestaunen oder darüber nachdenken. Sie können sich auch selbst "transformieren". Jedenfalls sofern ein Wollen vorhanden ist. Und sie können sich sehr schnell transformieren: in Monaten statt in Jahren. Ohne Bedarf an Helden, Lichtgestalten oder Horden von Beratern. Diese Möglichkeit gibt es erst seit 2018, seit der Transformationsansatz OpenSpace Beta Realität wurde. Vorher, das kann ich auch aus eigener, leidvoller Erfahrung in den vorangegangen 15 Jahren berichten, da war an schnelle, robuste Transformation ganzer Organisationen gar nicht zu denken. Sie war damals noch "utopisch". All das änderte sich schlagartig mit OpenSpace Beta.
Warum ist die Kombination aus dem Beta-Organisationsmodell und dem Transformationsansatz OpenSpace Beta der Game-Changer? Weil auch die besten, stärksten und populärsten Management-Bewegungen der Vergangenheit – z.B. Total Quality und Lean – daran gescheitert sind, dass ihnen ein schneller, robuster Transformationsansatz völlig fehlte. Schauen wir in die Gegenwart, dann können wir auch heute beobachten, wie die eigentlich äusserst erfolgreiche Agile Bewegung derzeit dabei ist, sich aus demselben Grund selbst auszulöschen: In Ermangelung eines funktionierenden Transformationsansatzes wenden sich die Akteure solcher Management-Bewegungen früher oder später Geschäftsmodellen wie Zertifizierung, Training, Tools und "grosse Beratungsprojekte" zu. Sie verlegen sich damit auf Geschäftsmodelle , die auch ohne transformationale Durchbrüche in der Organisationspraxis für eine gewisse Zeit in der Lage sind, Wirksamkeit und echte Transformation vorzutäuschen. Mehr zum diesem Problem findet sich z.B. unter dem Stichwort Agile Industrial Complex, AIC.
Erst die Kombination aus "dem in unsere Zeit passendem Organisationsmodell" und "dem dazu passendem Transformationsansatz, der robust und schnell genug ist" macht den Unterschied. Meine Helden, von Follett bis Drucker, verfügten leider noch nicht über diese Kombination. Wir dagegen halten alle erforderlichen Puzzlesteine in den Händen.
Stellt sich bloß noch die Frage, was mit mit dieser Chance anfangen.
***
Buchempfehlungen:
Kaputtoptimieren und Totverbessern. Eine kurze Geschichte des Managements als Scharlatanerie von Niels Pfläging, story.one 2022
OpenSpace Beta: Das Handbuch für organisationale Transformation in nur 90 Tagen von Silke Hermann und Niels. Pfläging, Vahlen 2019
Organisation für Komplexität: Wie Arbeit wieder lebendig wird - und Höchstleistung entsteht von Niels Pfläging, Redline 2014
In jedem Unternehmen steckt ein besseres: Zeitorientierte Betriebswirtschaft mit dem Weichselbaum-System von Ernst Weichselbaum und Niels Pfläging (Hrsg.), Vahlen 2020
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