Lean und Six Sigma: Ein ungleiches Paar?
Mathematik trifft Humanzentrierung. Ob Six Sigma und Lean Management überhaupt miteinander können, ist Gegenstand vieler Diskussionen in der Lean-Community. Aber es gibt Vertreter, die von einem hybriden Ansatz überzeugt sind. Wir haben mit zwei Lean Six Sigma-Enthusiasten gesprochen: Götz Müller und Dominik Vollmer.
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„Der Grundgendank von Lean Management lautet: Verschwendung vermeiden“, sagt Götz Müller. „Das heißt, im Zeitraum zwischen Kundennachfrage und Verkaufsprozess alles weglassen, was nicht nötig ist.“ Müller ist nicht nur Unternehmensberater bei der GeeMco Consulting und Teammitglied der Lean Knowledge Base. Er führt einen Blog und veröffentlicht Podcasts über Lean Management. Sein Schwerpunkt liegt ganz klar auf Lean Management. Trotzdem gehört er innerhalb der Lean-Community zu einer Minderheit. Ein wichtiges Themenfeld von Müller ist das "Lean Six Sigma".
Das Verhältnis zwischen Lean Management und Six Sigma scheint eine ewige Debatte in der Community zu sein. In zahlreichen Blogartikeln, Podcasts und Social Media-Posts wird das Verhältnis zwischen diesen beiden Management-Ansätzen diskutiert. Manchmal hart, in anderen Fällen versöhnlich. Die meisten Autorinnen und Autoren bemühen sich um Aufklärung. Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie Prozesse in Organisationen verbessern – und die Qualität steigern möchten. Nur die Mittel dazu unterscheiden sich: Vertrauen auf Empirie trifft auf Vertrauen auf die Menschen in Organisationen.
Six Sigma bedient sich ganz klar empirischen Methoden. Der Umgang mit Statistiksoftware und die Fähigkeit zur statistischen Analyse ist daher unerlässlich. Messen, analysieren, verbessern und überwachen. Und dann: wieder messen, vergleichend analysieren, verbessern und schließlich wieder überwachen. Mit Kennzahlen und Daten. Das kleinste gemeinsame Verständnis im Lean Management hingegen sind die Menschen in der Organisation. Sie sind die Schlüsselressource, um Verbesserungen im Unternehmen zu erkennen, durchzusetzen und umzusetzen. Aus Kennzahlen-gesteuerten Unternehmen hat man bereits die Erfahrung gemacht: Am Ende unterwerfen Zahlen die Menschen.
Kann daher eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen beiden Management-Ansätzen überhaupt gelingen? Wenn ja, wie sehen die optimalen Bedingungen dafür aus? Genau wie Götz Müller ist auch Dominik Vollmer von dieser Möglichkeit überzeugt.
Lean und Six Sigma: Optimale Integration
Im europäischen Markt sind oft Six Sigma-Anbieter zu finden, die ihrer primären Disziplin „kleine Bestandteile von Lean hinzuaddieren“, erklärt Dominik Vollmer. Der Wirtschaftsingenieur hat sich mit weiteren Kollegen mit Six Sigma-Lean Consulting selbstständig gemacht. In den Bereichen Mercedes-Benz Produktionssystem und in der zentralen Qualitätsorganisation bei Mercedes praktizieren sie selbstständig Lean Six Sigma.
Außerdem baut er derzeit eine deutschsprachige Lean Six Sigma Business Community auf. Wie bei Götz Müller steht bei ihm Lean Management im Vordergrund. Six Sigma wird nur dort eingesetzt, „wo es vorteilhaft ist, um Lean Management zu komplettieren und noch stärker zu machen.“ Und die Vertreter des Lean Six Sigma-Ansatzes sind sich einig: Lean Six Sigma ist nicht in jedem Unternehmen und für jeden Prozess sinnvoll umsetzbar.
Die Kombination von Lean Management und Six Sigma soll die Leistungsfähigkeit des Unternehmens kundenorientiert steigern und dabei „nahezu fehlerfreie Qualität“ anbieten, so die offizielle Definition. Die eigentliche Definition von Lean Six Sigma als „eine bewährte Methode für die Optimierung fast aller Prozesse und/oder Produkte“ ist aber relativ undeutlich. Denn eine klare Methodik wird nicht festgelegt. Beide Disziplinen verfolgen bestmögliche Qualität, Kundenerfahrung und optimierte Produktivität – doch aus sehr verschiedenen Perspektiven. Und der mathematische Ansatz von Six Sigma ist mit Lean nicht leicht zu vereinen.
Der mathematische Ansatz von Six Sigma funktioniert beispielsweise nur ab einer gewissen Größe des Unternehmens, betont Götz Müller. „Nur ab einem gewissen Umsatzvolumen in den Prozessen ist Lean Six Sigma sinnvoll. Für KMU und den Mittelstand sind andere Lean Prozesse, wie Kaizen, besser geeignet.“ Dazu trägt ein wesentlicher Unterschied bei: Während Lean alle Beschäftigten einbezieht, funktioniert Six Sigma auf verschiedenen Ebenen. Dies führe zum „Guru-Effekt“, wie Müller warnend äußert. "Es kann in einem Unternehmen schnell passieren, dass die 'Verbesserungsverantwortung' auf diesen Guru delegiert wird. Die Gefahr ist nämlich, dass die anderen Beteiligten im Unternehmen ausgeschlossen werden." Ein großes Potenzial bleibt in diesem Fall ungenutzt, was nicht im Sinne von Lean Six Sigma sei.
Der Six Sigma Ansatz entwickelt sich wie ein Pyramidenmodell: Auf jeder Ebene spielen die Akteure verschiedene Rollen. Jede Ebene ebnet den Weg zur nächsten Belt-Qualifikation. Eine Yellow Belt Qualifikation hat das Grundwissen von Six Sigma erhalten. Green Belts können Qualitätsprobleme analysieren und an Qualitätssteigerung-Projekten teilnehmen. Im nächsten Schritt sollen Black Belts die Prinzipien und Philosophie von Six Sigma beherrschen. Ein Master Black Belt kann letztendlich die andere Ebene coachen.
Lean Six Sigma: keine eindeutige Definition
„Six Sigma ist viel mehr als eine Analysemethode zu betrachten“, so Dominik Vollmer. „Wenn man es mit Lean Management kombiniert, ergeben sich starke Synergien. Weil Six Sigma sehr stark in der Analyse ist, kann man dadurch Ursachen von Problemen besser verstehen“, erklärt der Wirtschaftsingenieur. "Beispielsweise kann man die Wirksamkeit von Lean-Verbesserungen präzise quantifizieren, wodurch Lean-Maßnahmen sich noch treffsicherer umsetzen lassen." Trotz spannender Aspekte ist aber die Zukunft der Kombination unsicher. Offenbar hat dieser hybride Ansatz es schwer, sich zu erklären.
Ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche Anwendung gibt es nicht. Lean Six Sigma-Enthusiasten stehen vor der Herausforderung, endgültigen Beweis zu erbringen, dass dieser kombinierte Ansatz wirksam ist. Die Lösung? "Aufklärung!", so Dominik Vollmer. Statt schwer verständliche, komplexe Statistiken zu präsentieren, greift er auf "einfache und selbsterklärende Werkzeuge“ zurück. Ähnlich äußert sich Götz Müller. Auch er müht sich um Aufklärung und muss dabei manchen Spagat hinlegen. Das jedoch sieht Müller anders. Über sich sagt er, dass er ein "Wandler zwischen diesen beiden Welten" ist.
Die Ideengeschichte vieler Management-Ansätze zeigt auf und soll doch Mut machen: Pioniere und Vordenker hatten es nie einfach. Gerade in den historischen Entwicklungen vieler Organisationstheorien finden sich zahlreiche solcher Beispiele. Was sie eint, ist die Eigenschaft, nie aufzugeben.
*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt.
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