Warum Lean kein Zauberstab ist

Warum Lean kein Zauberstab ist

Mit Lean zaubern. Träumt davon nicht irgendwann jeder, der sich mit Lean beschäftigt. In diesem Artikel lösen all diese Träume in Luft auf. Leider!

27. September 2023 um 04:30 Uhr von Götz Müller


Wenn man sich dieser Frage stellt, sollte man sich auf jeden Fall klarmachen, dass die Abwesenheit eines Beweises (für eine Behauptung, Situation o.ä.) nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit dem Beweis der Abwesenheit/Nicht-Existenz der Behauptung/Situation ist [1]. Anders ausgedrückt ist die Abwesenheit eines Beweises für einen Lean-Zauberstab nicht gleichbedeutend mit dem Beweis, dass kein Lean-Zauberstab existiert. 

Manchmal drücke ich vergleichbare Aspekte gerne mit folgendem Bild aus: Wenn ein Mensch im zehnten Stockwerk am Fenster steht, rausspringt und durch bloßes mit den Armen schlagen (ohne weitere technische oder andere Tricksereien) verhindert, dass er unten aufschlägt, muss man sich über die menschliche Fähigkeit zu fliegen keine weiteren Gedanken mehr machen. Es geht dann also nicht mehr um das ob, sondern höchstens noch um was wie, man es machen kann.

Im Sinne der Fragestellung geht es jetzt aber gar nicht darum, ob man fliegen kann, indem man mit den Armen schlägt, sondern ob man im zehnten Stockwerk aus dem Fenster springt oder im Erdgeschoss. Die eigentliche Fragestellung ist also eher, in welcher Situation gezaubert werden soll und wie das Ergebnis aussehen soll. Wie so oft kommt es also auf den Kontext an.

Es könnte jetzt also bspw. sein, dass ein Unternehmen ein Kostenproblem hat. Nur weil mal jemand mit Lean-Werkzeugen/Methoden/Konzepten positive Kosteneffekte erzielen konnte, heißt das leider nicht, dass Lean in allen Situationen das Mittel der Wahl zur Kostensenkung sein kann.

Statt Kosten könnte man jetzt jedes beliebige Problem im betrieblichen Kontext eines Unternehmens einsetzen (ein Zauberstab hat für mich immer auch ein Ich-wünsch-mir-was-Element). Im Bezug zum Zauberstab müsste das in meinen Augen auch möglich sein, damit man Lean zu Recht als Zauberstab bezeichnen könnte. Im Grunde verschiebt sich damit die Diskussion weg von Lean hinzu der Situation, in der gezaubert werden soll.

„Der Zauberstab ist mir gegeben. Ich muss ihn nur zu gebrauchen wissen.“ – Leo Tolstoi

Anders ausgedrückt müsste Lean also die universelle Lösung für alle Probleme sein … und man bräuchte nur auf den Knopf drücken.

An erstes könnte man in diesem Kontext nun sogar glauben, was es dann im Grunde auch impliziert, dass damit alle Probleme beseitigt wären – es geht ja schließlich um Zauberei ;-)

Spätestens jetzt kann man aber zwei Gegenbeispiele anführen. Erstens wäre da ja noch Toyota. Auch wenn Lean dort nicht Lean heißt, könnte man ja glauben, dass Lean alle Probleme beseitigt (hat). Jetzt kann man aber vermutlich jeden bei Toyota fragen und keiner würde dabei bestätigen, dass Toyota problemfrei ist.

Und selbst wenn das mal so wäre, würde sofort ein weiteres Lean-Grundgesetz effektiv werden, das genau besagt, dass allein die Annahme der Problemfreiheit schon ein Problem darstellt.

Damit könnte ich jetzt im Prinzip schon aufhören, will aber noch auf einen anderen Aspekt der Zauberei hinweisen, der ebenfalls den Lean-Zauberstab negiert.

Dabei geht's mir weniger um das Ergebnis, sondern um den Prozess der Zauberei. Hier kann ich mich natürlich auch täuschen (weil ja die Tatsache, dass bloß weil ich das noch nicht erlebt hab', nicht besagt, dass es nicht so sein könnte). Für mich hat Zauberei definitiv auch starke bzw. ultimative Elemente von anstrengungslos, aufwandsfrei, auf Knopfdruck halt.

Lean in all seinen prozessualen Aspekten (Einführung und Aufrechterhaltung) ist alles andere als anstrengungslos, aufwandsfrei, auf Knopfdruck funktionierend. Sondern echt harte Arbeit, die vor allem auch Zeit und Geduld benötigt.

Unterm Strich also ein weiterer Grund, warum Lean kein Zauberstab ist. Und trotzdem lohnt es sich „ihn“ zu zücken.

An dieser Stelle erwähne ich dann gerne immer wieder die Sache mit dem Baum. Natürlich war die beste Gelegenheit ihn zu pflanzen vor 25 Jahren. Die zweitbeste Gelegenheit ist aber heute das Loch dafür zu beginnen. Und die schlechteste Gelegenheit wird morgen sein.

[1] https://de.quora.com/Ist-die-Abwesenheit-von-Evidenz-die-Evidenz-von-Abwesenheit

Der Artikel ist zuerst in meinem Blog erschienen: https://www.geemco.de/artikel/warum-lean-kein-zauberstab-ist/



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