Positive Psychologie am Shop-floor - Zwei Welten, die sich perfekt ergänzen
Wertschöpfung und Wertschätzung - so drücken wir gerne in zwei Worten aus, was der Kern der Philosophie zur Durchführung und Verbesserung von Geschäftsprozessen ist, die wir landläufig LEAN nennen. Diese Philosophie ist sehr menschenzentriert und daher in ihrem Gelingen von guter Führung bestimmt. Am Shopfloor - am Ort der Wertschöpfung - spielen die individuellen Fähigkeiten und Stärken der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle. Dies stellt eine Schnittmenge mit den Ansätzen der Positiven Psychologie dar, die ich im Folgenden näher beschreiben will. Die Erkenntnisse der Positiven Psychologie können das Wohlbefinden von Organisationen und deren Mitarbeitenden entscheidend verbessern und somit das Shopfloor Management entscheidend bereichern.
Positive Psychologie beschäftigt sich mit dem gelingenden Leben und Arbeiten, mit dem Wohlbefinden von Organisationen und den Menschen darin. Der Begriff Wohlbefinden entspringt der Definition von Gesundheit der WHO, in der Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit, sondern allgemeinem Wohlbefinden beschrieben wird. Der Blick der Positiven Psychologie geht heraus aus der defizitorientierten Betrachtungsweise der klassischen Psychologie hin zu Faktoren, die ein gelingendes Leben begünstigen. Ziel hierbei ist nicht, eine Welt der „rosa Einhörner“ zu erschaffen, sondern Menschen in ihr Potential zu führen, sich ihre Stärken bewusst zu machen und somit die Resilienz zu stärken. Resilienz ist hierbei als ein „psychisches Immunsystem“ zu verstehen, das es uns ermöglicht, schwierige Situationen zu meistern. Ich möchte hierbei betonen, dass die Positive Psychologie eine Wissenschaft ist, die auf den Ergebnissen valider Studien aufbaut und ist somit klar von vermeintlich verwandten Ansätzen, wie Positives Denken, zu unterscheiden.
Lean Management ist eine Philosophie , die darauf abzielt die Wertschöpfung und den Kundennutzen zu maximieren, indem Verschwendung eliminiert und kontinuierliche Verbesserungen in Prozessen gefördert werden. Eine der Hauptüberschneidungen zwischen Lean Management und Positiver Psychologie liegt in ihrem Fokus auf die Stärkung der Menschen. Sowohl Lean als auch Positive Psychologie erkennen die Bedeutung an, die individuellen Fähigkeiten und Stärken jedes Mitarbeiters zu erkennen und zu fördern. Im Lean-Kontext wird dies oft als "Respekt für Menschen" bezeichnet, was bedeutet, die Fähigkeiten und das Wissen der Mitarbeiter anzuerkennen und zu nutzen, um kontinuierliche Verbesserungen voranzutreiben. In ähnlicher Weise betont die Positive Psychologie die Bedeutung der Förderung von Stärken und positiven Emotionen, um das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu steigern.
Wenn die beiden Konzepte so ähnlich sind, warum ist dann ein zusätzlicher Fokus auf Positive Psychologie eigentlich notwendig? Die Antwort liegt in der Tatsache, dass die Positive Psychologie die Erkenntnisse und die Werkzeuge liefern kann, menschenzentrierte Führung gelingen zu lassen.
Das zentrale Modell in der Positiven Psychologie ist das sogenannte PERMA-Modell [1], welches von Martin Seligman entwickelt wurde. Es bietet einen nützlichen Rahmen, um die verschiedenen Elemente des Wohlbefindens zu verstehen und zu fördern. PERMA ist als Abkürzung zu lesen und steht für steht für:
P - Positive Emotions - das erleben positiver Emotionen,
E - Engagement - persönliche Stärken einbringen und diese zu leben,
R - Relationships - förderliche Beziehungen gestalten und leben,
M - Meaning - Sinn und Erfüllung gestalten und leben
A - Accomplishment - gesteckte Ziele erreichen
Zur besseren Illustrierung kann Abbildung 1 dienen.
Abb 1: PERMA-Modell nach Seligman
Diese fünf Elemente können am Shopfloor dazu beitragen, das Arbeitsumfeld zu verbessern und die Leistung der Mitarbeiter zu steigern. Diese Auflistung erscheint in dieser Form sehr theoretisch, lässt sich aber mit wenigen Interventionen im Alltag sehr wirksam mit Leben füllen. Hierzu können entsprechende Kurse und Workshops Impulse geben. Zusätzlich führen die fünf Faktoren zum sogenannten „Aufblühen (flourishing)“, einer gelingenden psychischen Entwicklung und dem Gefühl von subjektivem Wohlbefinden.
Positive Emotionen spielen eine wichtige Rolle, da sie dazu beitragen, eine positive Arbeitsumgebung zu schaffen und somit die Mitarbeitermotivation zu steigern und das Engagement für kontinuierliche Verbesserungen zu fördern. Doch was sind positive Emotionen? Es gibt hierfür eine wissenschaftlich fundierte Liste. Auf dieser sind 9 positive Emotionen benannt:
- Freude
- Dankbarkeit
- Liebe und Verbundenheit
- Interesse
- Hoffnung
- Stolz
- Vergnügen
- Inspiration
- Ehrfurcht
- Zuversicht
Das Erleben dieser Emotionen führt nachweislich zu höherem subjektiven Wohlbefinden, sorgen für erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit und Leistung und fördert schlussendlich die psychische und physische Gesundheit. Es geht daher darum, dass wir als Führungskraft verstärkt diese Gefühle erlebbar machen.
Darüberhinaus schaffen positive Emotionen den Nährboden für Vertrauen und psychologische Sicherheit im Team.
Engagement bezieht sich darauf, in seiner Arbeit vollständig aufzugehen und ein Gefühl von Flow zu erleben. Dies ermöglicht es den Mitarbeitenden, ihre Fähigkeiten voll auszuschöpfen und ihr Potenzial zu entfalten. Auch das sollten wir als Führungskraft fördern, indem wir verstärkt die Randbedingungen dafür setzen.
Kennen Sie auch diese Tätigkeiten, bei denen Sie komplett die Zeit vergessen, über sich Hinauswachsen und sehr fokussiert Höchstleistungen erbringen? Genau das ist, was wir unter Flow verstehen. Flow erleben wir vorallem, wenn wir in unseren Stärken arbeiten. Es ist daher wichtig selbst seine Stärken zu kennen. Der VIA Charakterstärkentest [3] ist ein vorzügliches Tool diese herauszufinden. Darüberhinaus sollten wir als Führungskraft auch die Stärken der Mitarbeiter kennen und diese verstärkt in Tätigkeiten einsetzen, in denen die Stärken relevant sind. Die größte Kunst liegt als Führungskraft gerade in dem Schritt, die Stärken der Mitarbeiter sicher zu erkennen und entsprechend die Rollen anzupassen.
Beziehungen spielen eine entscheidende Rolle, da sie das Fundament für Zusammenarbeit, Kommunikation und Teamwork bilden. Indem sie ein Umfeld fördern, das von Vertrauen, Respekt und Unterstützung geprägt ist, können Führungskräfte dazu beitragen, starke zwischenmenschliche Beziehungen auf professioneller Basis aufzubauen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, effektiv zusammenzuarbeiten und gemeinsam erfolgreich zu sein.
Sinn und Erfüllung sind ebenfalls wichtige Aspekte sowohl im Lean-Kontext als auch in der positiven Psychologie. Indem sie den Mitarbeitern ermöglichen, den Zweck und die Bedeutung ihrer Arbeit zu verstehen und einen Beitrag zu etwas Größerem zu leisten, können Führungskräfte dazu beitragen, ein Gefühl der Sinnhaftigkeit und Erfüllung am Arbeitsplatz zu fördern.
Es ist sehr wichtig, klare Ziele zu setzen und zielstrebig auf diese zuzuarbeiten. - privat, wie beruflich. Hierzu zählt auch, die Herausforderungen anzunehmen und eine lebenslange Lernbereitschaft, das sogenannte „Growth Mindset“, zu zeigen und diese durch die Führung zu fordern und fördern. Hier sind wir wieder in einer hohen Übereinstimmung mit der Gedankenwelt des LEAN. Fehler zu reflektieren, aus diesen zu lernen und Erfolge konsequent zu feiern sind zentrale Bestandteile beider Denkweisen.
In der Denkweise der Positiven Psychologie führt die Kombination von Kompetenz und dem Grad des Aufblühens durch Anwendung von PERMA zu außerordentlichen Leistungen von Teams. Dies ist in der Denkweise mit der LEAN Philosophie übereinstimmend. Auch dort soll der Mensch „die Tücke des Objektes“ bestmöglich beherrschen [4] und dies mit einem wertschätzenden Umgang aller Beteiligten – Führung, Mitarbeiter und Kunden – leben. Dies ist natürlich sehr stark geprägt durch eine entsprechende Führungsleistung. Markus Ebner [3] hat daher das PERMA-Konzept um die notwendigen Verhaltensweisen in der aktiven Führung zu einem „Positive Leadership“ (PERMA Lead ®) erweitert.
Am Shopfloor kann Positive Leadership dazu beitragen, ein Umfeld zu schaffen, das von Vertrauen, Respekt und Zusammenarbeit geprägt ist, was wiederum die Motivation, das Engagement und die Leistung der Mitarbeiter steigert. In Abbildung 2 sind die fünf Elemente der Positiven Psychologie in ein Führungsverhalten übersetzt. Die größte Herausforderung an die Führungskraft in diesem Zusammenhang ist es oft, wie schon erwähnt, die Stärken der Mitarbeiter zu erkennen und diese zielgerichtet zu nutzen und zu fördern. Die notwendigen Interventionen, die in den Führungsalltag integriert werden sollten, können in entsprechenden Seminaren und Workshops leicht erlernt werden.
Abb 2: Zusammenhang zwischen dem PERMA-Modell und den daraus resultierenden Verhaltensweisen in der Führung im Modell PERMA Lead ® nach Dr. Marcus Ebner
Insgesamt bietet die Kombination aus Lean Management und Positiver Psychologie einen integrativen Ansatz zur Führung am Shopfloor, der darauf abzielt, die Stärken der Mitarbeiter zu erkennen und zu fördern, ein Umfeld zu schaffen, das Engagement und Zusammenarbeit fördert, und die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter steigert. Indem wir die Prinzipien und Techniken beider Konzepte kombinieren, können Führungskräfte eine transformative Wirkung am Shopfloor erzielen. Diese steigert nicht nur die Effizienz und Produktivität, sondern verbessert auch das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Dadurch schaffen wir die Rahmenbedingung für Motivation, hohe Leistungsfähigkeit und Mitarbeiterzufriedenheit. Durch Positive Führung generieren wir Wertschöpfung durch Wertschätzung. Hier schließt sich der Kreis - LEAN und Positive Psychologie ergänzen sich auf perfekte Art und Weise. LEAN liefert die Werkzeuge für die Wertschöpfung, die Positive Psychologie jene für die Wertschätzung.
Literatur:
[1] Daniela Blickham; Positive Psychologie - Ein Handbuch fir die Praxis; 2. Auflage; 2015; Jungfermann
[2] VIA Charakterstärken-Test: https://www.viacharacter.org/survey/account/register
[3] Markus Ebner; Positive Leadership; 1. Auflage; 2019; Facultas
[4] Mari Furukawa-Caspary; LEAN auf gut Deutsch: Band 1; 1. Edition; 2016; BoD
Bild 1 von Gerd Altmann auf Pixabay
Weitere Inhalte
Kennst Du schon LeanTransferLearning?
-
Wissen — gemeinsam erwerben und bei der Anwendung ausbauen
-
Transfer — begleitete Umsetzung im betrieblichen Alltag
-
Praxis — direkter ROI durch schnelle Nutzung im eigenen Umfeld
Grundlagen der 5S-Methode - Online-Lern-Modul 1
Die 5S-Methodik repräsentiert eine systematische Herangehensweise an Lean-Prinzipien, die darauf abzielt, Arbeitsplätze zu optimieren und kontinuierliche Verbesserung zu fördern. Durch das …
Wechselwirkung mit anderen Lean-Methoden und -Werkzeugen - Online-Lern-Modul 7
Im Einsatz mit anderen Lean-Methoden und -Werkzeugen verstärkt die 5S-Methode das Bewusstsein für Wertschöpfung und Verschwendung in den Arbeitsprozessen und der Gestaltung von Arbeitsplätzen …
Weitere Inhalte auf LeanPublishing
Ein neues Führungsmodell: Die wertschöpfende Führung
Mitarbeiterführung und Wertschöpfung – ein wenig beachteter Zusammenhang
„Quo vadis“ Lean Management?
Mit der Umfrage “Quo vadis“ Lean Management? sind wir der Frage nachgegangen, in wie weit sich Lean Management in der Unternehmensrealität etabliert hat. 319 Teilnehmer folgten dem Aufruf, sich …
Lean „einfach“ oder „einfach Lean“
Alle sagten: „Das geht nicht.“ Dann kam einer, der wusste nichts davon und hat es gemacht!
Soziale Architektur für nachhaltige Unternehmen
Ein Beitrag meiner Kollegin Anja Ritter brachte mich kürzlich auf den Begriff "Soziale Architektur". Dieser ist, wie der Name schon sagt, eher im Kontext Architektur angesiedelt, d.h. er …
Kommentare
Bisher hat niemand einen Kommentar hinterlassen.
Kommentar schreiben
Melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen.
Teilen