„Was wäre, wenn ein Unternehmen eine Insel wäre?“

„Was wäre, wenn ein Unternehmen eine Insel wäre?“

In diesem Beitrag möchte ich ein kleines satirisches Gedankenexperiment wagen, welches die Frage beleuchtet: Was wäre, wenn ein Unternehmen eine Insel wäre mit dem Controller als Medizinmann und der Unternehmensleitung als lokale Götter.

#leanmagazin
09. März 2020 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Dr. Thomas Zabrodsky


Stellen wir uns vor, ein Unternehmen wäre eine Insel. Die Insel soll hierbei nicht als Institution, sondern als Raum verstanden werden, in dem die Bewohner in Austauschbeziehungen zueinander treten. Die Grenzen der Insel sind in beide Richtungen durchlässig.
Die Bewohner verweilen zumeist freiwillig, können aber auf Wunsch die Insel jederzeit verlassen. Bei Bedarf werden sie aber auch gegen ihren Willen ausgetauscht, was neue Bewohner auf die Insel bringt.
Bei jeder neuen Ankunft erfolgt eine Transformation des Novizen, in der er vom Kiemenatmer zum Lungenatmer gemacht wird. Auch gibt es daneben Wanderwesen und Jobnomaden, die nur kurz an Land kommen und dieses dann bald wieder verlassen. Ihr einziges Hab und Gut ist ihre Begabung.

Im Meer schwimmen immer potentielle neue Bewohner, die an ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten und in einem ständigen Wettstreit mit den Bewohnern auf der Insel stehen. Aber auch die Bewohner auf der Insel stehen in permanenten Wettbewerb zueinander. Wer den Anforderungen der lokalen Götter nicht entspricht, wird selektiert. Festzuhalten ist, dass dies nicht zu einem gegenseitigen Kannibalismus der Bewohner führen muss, es ist durchaus sinnvoll, im Rudel zu jagen. Die Frage ist dann, wie am Schluss die Beute aufgeteilt werden soll. Auch verändern sich die Gegebenheiten innen wie außen laufend, was dazu führt, dass sich die Bewohner ständig flexibel an die Erneuerungen anpassen müssen.

Ziel der örtlichen Götter ist es, effizient arbeitende Bewohner zu haben, die den Wert der Insel ständig vergrößern.

Die Götter legen keine Leistungsgrenzen nach oben fest, „nur“ eine nach unten, die von den Bewohnern ständig überwunden werden muss. Das bloße Überspringen der Grenze reicht aber nicht aus, da die Bewohner auch an den Leistungen der anderen gemessen werden. Ein sogenanntes Ranking wird erstellt. Wer mehr leistet, erhält mehr Ressourcen und kann weiterarbeiten, wer zurückfällt, wird selektiert. Auf der Insel herrscht in Anlehnung an Ulrich Bröckling ein ständiges ökonomisches Tribunal.

Die Entwicklungsstände, Leistungspotentiale und Performances der Bewohner werden in unserem Gedankenspiel vom hiesigen Medizinmann namens Controller permanent überwacht. Dieser trägt alles in sein Ergebnisbuch ein. Die Ergebnisse sind für jeden einzusehen. Die Bewohner und ihr Verhalten werden von allen Seiten unablässig beobachtet, so wie ihre Spuren im Sand auch später noch analysiert werden können. Es gibt das Bestreben der Götter, einen ständigen Tag mit Sonnenschein zu schaffen, damit alles in einem permanenten Licht erscheint. Das Modewort dafür heißt Transparenz. So können Erfolge und Misserfolge der Bewohner ständig analysiert werden. Der Medizinmann hält seine Ergebnisse häufig in Form von Kennzahlen fest. Es wird davon ausgegangen, dass er nichts „Wichtiges“ übersieht. Was wichtig ist, wird dabei von oben definiert; dabei entsteht das Idealbild des Bewohners, was das Ziel aller Bewohner sein sollte. Wie nahe die Bewohner dem Ideal sind, bzw. wer vor und hinter ihnen liegt, wird vom Medizinmann aus seiner Sicht auf neutrale und objektive Weise bestimmt. Zusammenfassend ist dies ein Managementtraumland. Die Bewohner werden über Zielvereinbarungen geführt und sind ständig damit beschäftigt, sich und die Inselabläufe zu verbessern.

An dieser Stelle wollen wir die Managementbrille gegen eine Foucaultsche Brille tauschen.

Aus der Sicht von Michel Foucault ist die Festlegung der Beurteilungskriterien nicht objektiv und neutral, sondern dies ist ein machtvoller und interessengeleiteter Prozess. Die Götter lassen Wissen erheben, um ihre eigene Macht zu sichern. Die Erhebung des Wissens bzgl. der Bewohner bringt diese nämlich erst hervor und macht sie dadurch „steuerbar“. Die Macht erschafft selbst das Wissen, mit dessen Hilfe sie disziplinierend auf die Bewohner einwirkt. Macht und Wissen können in diesem Fall nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Die Bewohner werden anhand einer begrenzten Anzahl von Kriterien für das System konstruiert. Sie werden in einem Prozess der Objektivierung zu einem Fall gemacht. Das Beurteilungsverfahren bildet nicht die Person ab, sondern definiert sie erst anhand der festgelegten Kriterien. Welche Kriterien herangezogen werden, wird vom herrschenden Diskurs bedingt, der im Managementozean bzw. auf der Insel dominant ist. Auch schalten sich hier ab und an umherreisende Gurus ein, die als Inselberater bekannt sind.

Die Bewohner orientieren sich an den Kriterien, da ihre Erfüllung ihnen das Überleben auf der Insel sichert. Auch verheißt das Streben nach den Kriterien ein besseres Inselleben. Diesen Prozess nennt Foucault die Subjektivierung; die Bewohner beginnen selbst, in den etablierten Denkrastern über sich nachzudenken und streben dem etablierten Idealbild nach. Dieses ist in den meisten Fällen, aber nicht erreichbar, da jeder neue Rekord die Messlatte weiter anhebt. So entsteht ein Zwang, konstant an der Optimierung zu arbeiten. Manche Bewohner beichten auch bei den Göttern und Priestern, dass sie noch unzureichend sind, und bitten um Unterstützung, auf den richtigen Weg geführt zu werden.

An dieser Stelle möchte ich das Gedankenexperiment beenden und zwei Dinge anmerken.

  1. Macht ist nie absolut und wo Macht entsteht, entsteht auch immer eine Gegenmacht, auf die ich hier nicht mehr eingegangen bin.
  2. Ich möchte Steuerungssysteme nicht dämonisieren, sondern ein Bewusstsein für deren Effekte schaffen und dadurch einen reflektierten Umgang anregen.


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