Warum Sie wahrscheinlich sämtliche Aktivitäten in Sachen Lean in Ihrer Organisation vergessen können!

Warum Sie wahrscheinlich sämtliche Aktivitäten in Sachen Lean in Ihrer Organisation vergessen können!

Vor rund 30 Jahren kurz nach dem Bekanntwerden der Studienergebnisse der MIT-Wissenschaftler James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos wurden diese in der sogenannten westlichen Welt u.a. wie folgt zitiert: „Schlanke Produktion ist die japanische Geheimwaffe im Wirtschaftskrieg und erobert die ganze Welt.“ […] „Wenn westliche Unternehmen und ihre Manager und ihre Mitarbeiter […] überleben wollen, müssen sie schlanke Produktion kennen und übernehmen.“

#leanmagazin
20. Februar 2020 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Ralf Volkmer


Die Bibel der „industriellen Neuzeit“ mit dem Titel „Die zweite Revolution in der Automobilindustrie“ wurde nicht nur viel gelesen. Im ersten Jahr der Erscheinung in Deutschland hat dieses Buch sieben Auflagen erzielt und wurde in sämtlichen Fachzeitschriften und Managementveranstaltungen intensiv diskutiert.

Schlanke Produktion, also Lean Production, wurde – und wird bis heute – als Zauberformel gesehen, mit deren Hilfe japanische Produktivität, Flexibilität und Fehlerfreiheit erreicht werden kann. Erste Erfolgsgeschichten ließen nicht lange auf sich warten, allen voran der Automobilbauer Porsche. 1993 hatte das traditionsreiche Unternehmen noch einen Verlust von 240 Millionen und nur sechs Jahre später hat das Team um den damaligen Vorstandsvorsitzenden Wiedeking (angeblich) mit Lean Production das Unternehmen in die Gewinnzone gefahren.

Heute, nunmehr drei Jahrzehnte später ist nicht mehr nur von Lean Production die Rede. Nein, alles scheint Lean zu sein, Krankenhäuser, öffentliche Verwaltungen, Konstruktionsabteilungen, einfach alles. Damit müssten nun alle Organisationen und die jeweiligen Abteilungen ebenso erfolgreich wie Toyota sein. Ist das jedoch wirklich so? Und wenn nicht, warum?

Zunächst ist durchaus festzustellen, dass nicht überall, wo Japan draufsteht, auch Toyota drin ist. Wie sonst würde man sich die Nuklearkatastrophe von Fukushima erklären. Die Wahrheit ist, dass die genannten MIT-Wissenschaftler nur das beschreiben konnten, was sie gesehen haben. Das waren überwiegend methodische Ansätze wie beispielsweise Muda, Muri, Mura, 5S, Kanban usw., welche überwiegend auf dem Shopfloor wiederzufinden sind. Zur Wahrheit gehört ebenfalls, dass Lean (schlank) eine Wortschöpfung von James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos ist, weil diesen mit ihrer amerikanischen „Mentalität“ – übrigens nach der ersten Ölkrise – der geringe Ressourcenverbrauch und die niedrigen Kosten unmittelbar aufgefallen sind.

Diese amerikanische Sichtweise überzeugte allem Anschein nach die Manager der restlichen Welt und damit auch das Top-Management der deutschen Industrie. Heute sind maximal 10% der deutschen Organisationen auf dem Niveau von Toyota und der Grund dafür ist so einfach wie banal. Die überwiegende Mehrheit des Managements meint nämlich noch immer, man müsste einfach kopieren – doch wie wir alle wissen, kommt vor kopieren, kapieren! Da hilft es auch nicht, wenn man die Kopiervorlage als Benchmark bezeichnet.

Wenn Lean als ganzheitliches Managementsystem nicht nur verstanden würde, sondern auch über alle Hierarchieebenen gelebt werden will, so ist die Einführung nicht nur kompliziert. Nein, sie ist gar komplex und lässt sich nicht mathematisch ableiten – es bedeutet vieler Orts die „die Quadratur des Kreises“.
Taiichi Ohno, Begründer des Toyota Produktionssystems, eine Konzeption (und keine Methode) zur Vermeidung von Verschwendung, schrieb einst in seinem gleichnamigen Buch „vom Geschäftssinn und dem Mut, den sogenannten gesunden Menschenverstand zu durchbrechen“ und dass das Umkehren dessen, was als logisch erscheint, zu hinterfragen.

Insofern möchte ich Ihnen das Folgende empfehlen: Bevor Sie darüber nachdenken, ob Sie Engpässe in Ihrer Organisation mit zusätzlichen Mitarbeitenden, durch Sonderschichten oder gar durch Automatisierung abfangen, um noch effizienter zu werden, schauen Sie sich Ihre Prozesse einfach einmal genau an. Fragen Sie sich, ob Teile der Prozesse, die Sie beobachten, überhaupt formell sind oder einfach nur deshalb so ablaufen, „weil es bei Ihnen schon immer so gemacht wird“. Üben Sie sich in Geduld – Sie wissen ja, „Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut“. Vor allem überlegen Sie sich, ob Sie Ihren Keller zuhause auch so organisieren würden. Und am besten lassen Sie dabei einfach von ihrem gesunden Menschenverstand inspirieren.

Sollten Sie jedoch der Meinung sein, Sie müssten alle Mitarbeitenden auf Methodenschulungen entsenden, immer und alles mathematisch begründen sowie in bunten PowerPointFolien abbilden, dann, ja dann werden Sie wahrscheinlich sämtliche Aktivitäten in Sachen Lean in Ihrer Organisation vergessen können!



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