The world ist not enough - Folge 70
Der Interviewer fährt zu den Interviews durch die Straßen von Los Straneros, der Stadt, in der WMIA Incorporated, das größte Unternehmen der Welt, seinen Verwaltungssitz hat. Man kann es auch so betrachten, dass Los Straneros ein Teil des Verwaltungssitzes ist. Klingt etwas überhöht, aber durchaus angemessen ...
Die Straßen sind wie mit dem Lineal gezogen. Sie sind so gerade und so nüchtern pragmatisch, reduziert auf ihre Funktion, auf eine schwarze Teerlinie, dass es einen frösteln könnte. Es gibt keine Bäume, keine Bänke am Straßenrand. Die schwebenden Gefühle, die man vom Schlendern auf dem Boulevard des Anglais in Nizza kennt, besonders jene, die einen aus dem verführerischen Parfum der schlendernden Damen vor dem fast lasziv anmutenden Hotel Negresco anwehen, deren Spur sich in Phantasien des Spaziergängers verflüchtigt, die es wert wären, weiter geschildert zu werden, fehlen völlig. Der Anblick gleicht einem Waldstück, das gerade frisch gerodet ist.
Wie anders mutet da die Empfangshalle der Zentrale von WMIA Incorporated an und der Anblick Elviras, die den Interviewer freundlich anlächelt, berührt und beschwingt ihn geradezu. Das Lächeln Elviras ist nicht aus der aufgewärmten emotionalen Konservendose eines strahlend-weiß-künstlich-bezahnten Gebrauchtwagenverkäufers, nein, es ist lebendig, in jedem Augenblick schillernd, so als würden die Pastellfarben ihres Mundes Bilder malen, deren genaue Beschreibung den Rahmen hier sprengen würde … aber das kennen wir ja schon … erwähnt werden soll es trotzdem.
Dr. Nemo empfängt den Interviewer. Er trägt eine Brille, modisch in der Linienführung und sie hat etwas Besonderes. Mal sehen, im wahrsten Sinne des Wortes, was es damit auf sich hat.
Nemo: „Buongiorno, benvenuto all’isola Marettima.”
Der Interviewer schaut perplex und fragt sich, ob er hier noch im richtigen Film ist.
Interviewer: „Willkommen auf der Insel? Wir sind doch in Los Straneros!“
Dr. Nemo lächelt mit einem Ausdruck des Gefühls wie man es bei Kindern beobachten kann, wenn sie es auskosten, ihre Eltern sozusagen irritiert zu haben und das unterlaufen, was man realistisches, eben „Elterndenken“ nennt.
Nemo: „Wir sind das größte Unternehmen der Welt. Wir spielen überall mit. Unsere Produkte sind ausgereift. Klar, jedes Jahr verfeinern wir sie. Aber, es fehlt der „Kick“!“
Interviewer: „Was meinen Sie mit „Kick“?“
Nemo: „Es reicht nicht mehr zu verbessern. Das können andere auch. Wir sind am Ende mit den Verbesserungen. „The world is not enough“, wir brauchen eine neue Welt, eine neue Welt, eine Welt, die unabhängig von der Realität ist wie wir sie teilen.“
Interviewer: „Mir wird mulmig.“
Nemo: „Wir zapfen ein unendliches Potential an, das Potential der menschlichen Phantasie. Wir produzieren Träume und vermischen sie mit der Wirklichkeit.“
Interviewer: „Wie das?“
Nemo: „Schauen Sie durch meine Brille!“
Der Interviewer schaut durch Nemos Brille.
Interviewer: „Das ist die Insel Marettima. Wir zwei sind dort, das ist ja irre!“
Nemo: “Wir nehmen den Menschen die Phantasie ab und machen sie zu unserem Produkt. Das ist ein nie endendes Geschäft. Wir sind ganz vorne in einer neuen Welt. Wir produzieren Phantasie.“
Nemo ist wirklich nicht zu unterschätzen.
Der Interviewer erinnert sich an einen Satz seines Vaters, der immer dann, wenn er Sorgenfalten auf der Stirn hatte, sagte: „Das wird ja noch schöner …“
Nemo muss zum nächsten Termin. Elvira begleitet den Interviewer zum Fahrstuhl.
Interviewer: „Kennen Sie den Roman „Schöne Neue Welt“ von Aldous Huxley?“
Elvira: „Ja, das war die Vorlage der Gedanken von Nemo, allerdings wendet er das Geschehen zu einem guten Geschäft für WMIA Incorporated.“
Der Interviewer erhielt die Brille als Geschenk und er vergaß sie abzunehmen.
Elvira war nicht mehr Elvira, wie er sie früher sah. In seinem Bild hatte er jetzt aller Informationen über sie, das nennt man ja augmented reality … auch ihr Geburtsdatum stand da und das wollte er eigentlich nicht so genau wissen. Ein bisschen eigene Phantasie ist ja doch ganz schön.
Wie schön die Neue Welt werden wird und wie WMIA Incorporated sich das zunutze macht, verrät sicher das kommende Interview mit Dr. Nemo am nächsten Dienstag …
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