Noch ehe der Hahn zweimal kräht … Folge 116

Noch ehe der Hahn zweimal kräht … Folge 116

„Das Kostbarste eines Morgens am Mittleren Meer ist wohl die Gegenwart eines schönen Wesens ...“, sagt Nemo und wendet sich Fortunata, seiner Ehefrau zu.

Für ein paar Stunden nur besucht er die Insel Marettimo, genauer gesagt, man ist auf dem Landsitz Fortunatas auf dem Teil der Insel, der sich so wunderschön lang in ein fernes Blau dahinzieht, dass man ihn schon lasziv nennen könnte, sollte, müsste …

#WMIA
Podcast, am 22. 10. 2018 in Interview mit Dr. h.c. Any Nemo von Kurt August Herrmann Steffenhagen


Vor ihnen auf dem Gartentisch liegt ein halb geöffneter Granatapfel, dessen rote Kerne wie Tropfen aus dem Licht des Morgens fallen.

Fortunata lässt ein paar davon im Mund zerschmelzen und spuckt den Rest neben sich ins Gras.

Fortunata: „Nemo …“
Übrigens spricht sie den Namen ihres Gatten in einer Intonierung aus, die Männer zwar nicht fürchten, jedoch schon sehr aufmerksam machen.
„Was macht eigentlich das Thema ‘Der Mensch im Mittelpunkt‘ bei WMIA Incorporated?“

Nemo: „Du meinst unser Motivationsprogramm?“

Fortunata: „Nein, das meine ich nicht! Bitte keine HR-Fingerübungen, an denen sich jeder HR-Fuzzi die Bleistifte zu Stummeln schreibt. Nein, Du alter CEO, ich meine das Wahre, den Kern des Menschen, die Sehnsucht nach Frieden, Gerechtigkeit, eben das, wovon doch alle reden, was doch alle wollen …“ Dann nahm sie einen weiteren Teelöffel mit den Kernen dieser verführerischen Frucht, ließ sie im Munde zergehen, als wollte sie die Bitterkeit als Pendant hinter der Süße erspüren und fährt fort: „Ich meine, wie sieht’s aus mit Eurem Blick auf die Menschen, mit Anstand, Moral und so?“

Nemo: „Du meinst die WMIA Compliance-Abteilung?“

Fortunata spuckt weiter die Kerne auf den Rasen, blickt ihn mit ihren braunen Augen an und sagt: „Ihr habt für alles eine Abteilung, sogar für den Anstand. Macht Dich das nicht stutzig?“

Nemo: „Nein, wieso? So sind Unternehmen doch strukturiert.“

Fortunata: „Warum eigentlich? Warum sind die Unternehmen so zerfleddert und oben ist die Macht?“

Nemo: „Darum!“

Letztere Bemerkung ist natürlich nicht vorstandsvorlagefähig … sie führt aber vielleicht in eine gute Richtung, wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass Nemo dabei leicht errötete … übrigens, eine Veränderung der Farbe im Gesicht, die Vertrauten wie zum Beispiel Ehefrauen oder Geliebten niemals entgeht …

Fortunata: „Apropos Macht … Wer hat die Macht bei WMIA Incorporated?“

Nemo: „Was meinst Du mit Macht?“

Fortunata: „Du weißt es ganz genau, was ich meine …“

Nemo schweigt, dann nimmt er ihre Hand, blickt auf das Meer und sagt: „Jedenfalls nicht ich …“

Fortunata: „Du armer Kerl!“

Nemo: „Mmmh …!“

Übrigens … und so beginnen alle Zwischenbemerkungen … möchte der Interviewer, der diese Begegnung aufgezeichnet hat, darauf hinweisen, dass dieses Gespräch von WMIA Incorporated weder bestätigt noch dementiert wird … die Methode, die volkstümlich unter die Rubrik „Unter den Tisch kehren“ fällt.

Nemo: „Was meinst Du mit armem Kerl?“

Fortunata: „Du kannst nicht zugeben, dass Du ohnmächtig bist gegenüber Deinen Shareholdern, der Presse, den Analysten und welche Namen die Totengräber des Anstands auch immer tragen. Anstelle dessen lässt Du ersatzweise die Puppen tanzen, Stichwort Werte, Wertschätzung etc. Du und WMIA Incorporated, ihr verratet das Schöne für ein paar Silberlinge und das noch ehe der Hahn zweimal kräht … “

Nemo antwortet darauf nicht, wobei es Dinge gibt, über die man nicht diskutieren kann. So sagte er später mit ein wenig Trauer in seiner Stimme und die rührte wohl aus einem Teil seines Wesens, das zu erblicken Rilke in seinem Gedicht „Der Panther“ beschrieb, indem er sagte: “Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf …“

Nemo fliegt zurück nach Los Straneros.
Wie es weitergeht, erfahren wir nächsten Dienstag.

Doch halt! Wenn man die Welt betrachtet, erscheint das Schöne wie ein leerer Wahn … das kann es doch nicht sein!



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