Macht und Sichtbarkeit

Macht und Sichtbarkeit

Dieser Beitrag bietet einen Überblick, wie sich die Wirkungsweisen von Macht über die Zeit verändert haben.
Dazu erfolgt im Weiteren eine Beschreibung über zwei große dominante Verschiebungen und zwar von der Macht des Souveräns hin zur Disziplinargesellschaft und später von der Disziplinargesellschaft hin zur Kontrollgesellschaft.

#leanmagazin
11. August 2016 um 20:08 Uhr in LeanMagazin von Dr. Thomas Zabrodsky


Zu Beginn möchte ich noch kurz vorausschicken.
Macht ist niemals absolut und kann sich in verschiedenen Formen zeigen.
Meine folgenden Schilderungen beziehen sich auf große dominante Entwicklungen.

Die erste große Veränderung formuliert Michel Foucault in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ von der absolutistischen Macht des Souveräns hin zur Disziplinarmacht.

Die Macht des Souveräns zeichnete sich durch feudale Verhältnisse aus.

Es gibt den „einen“ Herrscher, der absolut herrscht. Er stellt das Machtzentrum dar, um den sich alles gruppiert. Diese Macht wird offen und sichtbar zur Schau gestellt. Der Herrscher steht dabei ständig im (Rampen)Licht. Das Volk hingegen wird unsichtbar gemacht. Es stellt eine breite Masse dar, die nicht differenziert wird. Das verfolgte Prinzip bei der Nutzung der Untertanen ist die Abschöpfung. Wer gegen das Gesetz des Königs verstößt, wird bestraft. Die Bestrafung zielte dabei zumeist auf den Körper des Delinquenten ab.

Bei der Disziplinarmacht hingegen soll nicht auf den Körper zugegriffen werden, sondern auf die Seele des Menschen.

Warum kam es zu dieser Umstellung? Erstens kam es immer wieder zu Aufständen bei Machtdemonstrationen (z.B. Hinrichtungen) und zweitens wurde es als unökonomisch angesehen, „Arbeitskräfte zu vernichten“. Deswegen wollte man, dass die Verbrecher ihre Fehler einsehen und wieder zu „guten“ Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden.

In diesem Rahmen entwickelte Jeremy Bentham seinen panoptischen Apparat für Haftanstalten. Das Panoptikum verwendet einen „einfachen“ Trick. Die Zellen der Insassen werden im Kreis um einen Turm herum angeordnet. Vom Turm aus kann jede Zelle eingesehen werden, die Insassen können aber nicht sehen, was sich im Turm abspielt. Sie haben keine Informationen darüber, wo der Wächter gerade hinsieht bzw. ob der Turm überhaupt besetzt ist.

Die Insassen sind einer ständigen Sichtbarkeit durch den (möglichen) Wächter im Turm ausgesetzt. Jeder Winkel der Zelle soll einsehbar gemacht werden, sodass keine Bewegung unbeobachtet bleibt. Die Zellen sind voneinander getrennt, damit es keine Möglichkeit für Komplotte gibt. Außerdem ist das Panoptikum von der Außenwelt abgeschlossen. Die Insassen im Inneren sind bestimmten Normen unterworfen, die es gilt einzuhalten oder es erfolgt eine Maßregelung.

Die bemerkenswerte Veränderung besteht somit in der Umkehrung der Sichtbarkeit.

Nicht die zu Kontrollierenden sind unsichtbar, wie es bei der Macht des Souveräns der Fall ist, sondern gerade ihre Bewegungen werden genau beobachtet. Sie sind einem ständigen prüfenden Blick unterworfen, der die „Wahrheit“ über sie ans Licht bringen soll. Die Insassen sind keine graue Masse mehr, sondern sie werden unterteilt und eingeteilt, und jeder ist für sich detailliert zu erfassen, um auf ihn individuell einwirken zu können. Im Zuge dessen ändert sich auch das zugrundegelegte Prinzip der Abschöpfung hin zur Wertschöpfung. Es geht darum, jeden zu erfassen und das „Beste“ aus ihm herauszuholen.

Die angewendeten Instrumente in der Disziplinargesellschaft sollen also mittels der eingeschriebenen Machtmechanismen die Produktivität der involvierten Personen steigern.

Die beschriebenen Prinzipien beziehen sich nicht nur auf das Gefängnis, sondern findet auch in Fabriken, Schulen, Krankenhäuser oder dem Militär Anwendung. Es geht dabei immer um ein Erfassen, Einteilen und Sichtbarmachen der Betroffenen. Fünf Merkmale sind nach Foucault dafür prägend.

Erstens wird ein Zeitregime etabliert, welches die zu disziplinierenden Personen dazu zwingt, in einem bestimmten Rhythmus ihre Tätigkeit zu verrichten. Dadurch wird ein bestimmter Wiederholungszyklus eingeführt, der wiederum ein bestimmtes Muster vorgibt, nach dem zu handeln ist. In der Fabrik wird dies zum Beispiel durch die Taktzeit der Maschinen oder Schichtpläne vorgegeben. Das zweite Merkmal ist die zeitliche Durcharbeitung der Tätigkeit. Die einzelnen Arbeiten werden in eine bestimmte Reihung gebracht, die eingehalten werden muss. In einer Fabrik wurde zum Beispiel die optimale Vorgehensweise als genormte Reihenfolge vorgegeben. Das dritte Merkmal ist, dass die Person den Ablauf nicht einfach nur ausführen soll, sondern ihn zur Perfektion bringt. Dies führt im vierten Merkmal zu einer Zusammenschaltung zwischen der Person und dem Objekt. Dadurch, dass der Ablauf der Bewegung genau reglementiert ist, werden auch die Berührungspunkte zwischen der Person und dem Objekt genau verzahnt, was zu einer Zwangsbindung an das hergestellte Objekt führt. Das abschließende fünfte Merkmal ist, dass keine Zeit verschwendet werden darf und sich kein Müßiggang einstellt.

Die Macht wird nicht mehr direkt von einer Person ausgeübt, sondern sie ist ein Prozess, der unsichtbar in die angewendeten Verfahren eingeschrieben wird. Die angewendeten Mechanismen führen dann zur angestrebten Steuerbarkeit der Betroffenen.

Die eben beschriebenen Prinzipien der Disziplinargesellschaft sehen wir zum Beispiel stark im Fordismus verwirklicht. Im Zuge des Wandels vom Fordismus hin zum Postfordismus lässt sich nun ein zweiter großer Wandel beobachten, den Gilles Deleuze als Wandel von einer Disziplinargesellschaft hin zu einer Kontrollgesellschaft beschreibt.

In der Kontrollgesellschaft steht die Konstruktion der Person im Mittelpunkt. Die Person wird dabei nicht als etwas Fertiges oder Abgeschlossenes betrachtet, sondern als ein Dividuum. Jede Person besteht aus einem Kompetenzbündel, das je nach Anforderungen anders zusammengestellt werden kann. Der Mensch muss sich je nach Umwelt anderen Anforderungen stellen und sein Profil dementsprechend ständig verändern. Es geht aber nicht nur um eine permanente Anpassung, sondern auch darum im Wettbewerb mit anderen bestehen zu können. Denn in der Kontrollgesellschaft wird im Gegenteil zur Disziplinargesellschaft der Mensch nicht nur isoliert betrachtet, sondern mit den anderen kontinuierlich verglichen.

Es geht dabei auch nicht mehr nur um die Erfüllung festgelegter Normen, wie in der Disziplinargesellschaft, sondern die Normen sind dynamisch und nach oben offen, was die Betroffenen in einen ständigen Zugzwang versetzt, daran zu arbeiten.

Ein weiterer Unterschied ist, dass der Zutritt zu den Systemen in der Kontrollgesellschaft freiwillig ist, ich trete zum Beispiel freiwillig in ein Unternehmen ein und beteilige mich am Wettbewerb. Die Kontrollgesellschaft stellt durch den freiwilligen Zutritt eine scheinbar offene Situation dar, doch wird nach Sven Opitz die Disziplin durch einen ständigen Zwang zur Modulation getauscht. Die ständige Prüfung der Leistung entfällt nicht, sondern erfolgt zumeist über leistungsbezogene Kennzahlensysteme, die über Erfolg und Misserfolg Auskunft geben. Die Macht ist auch hier für die Augen unsichtbar und in die Steuerungssysteme eingeschrieben. Die Steuerung findet dabei als Selbststeuerung im Kopf des Menschen statt.



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