„Ist das Lean oder kann das weg?“  - was Marie Kondo mit Lean zu tun hat

„Ist das Lean oder kann das weg?“ - was Marie Kondo mit Lean zu tun hat

Marie Kondo ist Euch ein Begriff, oder? Die japanische „Ordnungsberaterin“ ist nicht nur Bestsellerautorin und Aufräumikone, sie bekam 2019 sogar ihre eigene Netflix-Serie mit dem Titel „Aufräumen mit Marie Kondo“. Es gibt unzählige Internet-Memes, die mit ihrer zentralen Frage „Does this spark joy?“ versehen sind und mit dem Verb „to kondo“ bezeichnet man mittlerweile im Englischen so viel wie „einen Schrank aufräumen“.

#leanmagazin
02. März 2020 um 04:30 Uhr in LeanMagazin von Daniela Röcker


Ihre eigene Aufräum-Methode „KonMari“, zu der sie auch Seminare anbietet, umfasst 7 Grundsätze:

  1. Alles auf einmal, in kurzer Zeit und perfekt aufräumen
  2. Alle Dinge zum Aufräumen werden auf einem Haufen gesammelt
  3. Entscheiden, was behalten wird, aufgrund der Frage: Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme?
  4. Jeder Gegenstand, den man behält, bekommt seinen Platz zugewiesen
  5. Alle Dinge müssen dort richtig verstaut werden

Ordnung, Sicherheit, Gesundheit

Um von Marie Kondo zu Lean zu kommen, sind vielleicht ein oder zwei Gedankengänge mehr notwendig. Grundsätzlich geht es – Marie Kondo hin oder her – beim Aufräumen darum, Störendes, Überflüssiges oder auch Schmutziges zu beseitigen, aus der Sichtweite zu bekommen und Ordnung zu schaffen. Ordnung ist eng verflochten mit Sauberkeit – beide Begriffe stellen für uns einen kulturellen Wert dar, der uns erstrebenswert scheint. Sauberkeit verbunden mit Hygiene sorgt für Gesundheit, Ordnung verbunden mit Struktur gibt uns Sicherheit.

Frühjahrsputz und Weißraum

Ein mit dem regelmäßigen Aufräumen verbundenes Phänomen in unseren konsumgesättigten Industriegesellschaften ist das „Ausmisten“. In gewissen Abständen misten wir unseren Kleiderschrank, den Keller, die Wohnung oder auch unser ganzes Leben aus und machen Platz für Neues. Das Wort „Frühjahrsputz“ hat immer noch einen festen Bestandteil in unserer Gesellschaft – der Staub vom Winter wird aus jeder Fuge gewischt, um Frische und Licht in die Wohnung oder ins Haus zu holen. Offensichtlich ist dieses „Platz für Neues“ schaffen für viele von uns ein Bedürfnis. Warum eigentlich? Vielleicht ist es so, dass es zufrieden macht und Energie bringt, wenn nach einer Weile des Anhäufens, Dinge losgelassen werden können und an der gleichen Stelle wieder mehr Freiraum ist.

Solch ein Freiraum hat für uns eine wichtige Bedeutung: Beim Layouten von Medien gibt es z.B. den Begriff „Weißraum“. Dieser bezeichnet den Freiraum, der nicht von Farbe, Text oder Bild bedeckt ist und dem ein großer Wert in der Gestaltung zugemessen wird. Weißraum hilft, unseren Blick auf Texte oder Bilder zu fokussieren.

Belastet mich das, was mich umgibt?

Marie Kondo und viele andere Menschen vor ihr haben begriffen: wenn wir uns von materiellen oder nicht-materiellen Dingen lösen, macht das nicht nur unser räumliches Umfeld, sondern metaphorisch auch unsere Gedanken freier. Das Aufräumen setzt einen Reflexionsprozess in Gang: Brauche ich das noch? Wozu nützt es mir? Belastet es mich? Macht es mir Freude?

Verstehen wir den Begriff „lean“ auch dahingehend, dass man sich von überflüssigen, nicht zielgerichteten Dingen löst, dann sind wir gedanklich nahe beim Ausmisten. Denken wir an die regelmäßige Lean-Praxis, dann bedeutet dies, regelmäßig aufzuräumen, Dinge zu säubern und zu ordnen, damit Prozesse schlank und reibungsfrei ablaufen können – sowohl im materiellen Sinn wie auch im übertragenen Sinn.

Gefahren beim Aufräumen

Wer an dieser Stelle jedoch denkt, dass das Aufräumen der Weisheit letzter Schluss wäre, springt zu kurz. Die Gefahr beim Aufräumen besteht darin, dass um des Aufräumens willens aufgeräumt wird. Dass also der Aufräumprozess in eine unreflektierte Routine übergeht, die nicht mehr hinterfragt wird. Um dem zu entgehen, ist es in bester Lean Manier notwendig, in Verbesserungen zu denken: Warum räume ich gerade zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle auf? Was ist zuvor passiert? Räume ich vielleicht Dinge auf, die eigentlich der Vorprozess verursacht hat? Räume ich Müll weg, der grundsätzlich überflüssig wäre?

Was Effizienz und Verzicht (evtl.) verbindet

Eine weitere Gefahr des Aufräumens, zu der wir gerade in Deutschland gerne neigen, ist das Übertreiben von Reduzierung. Im Lean-Kontext ist dies die Effizienz-Fixierung. Prozesse werden so lange „verschlankt“, bis aus ihnen „nichts mehr herauszuholen“ ist. Üblicherweise ist damit die Kosten- und Materialreduzierung gemeint, die dazu dienen soll, dass am Ende die Gewinnmarge größer werden soll. Ein zeitgemäßes Lean Management sollte jedoch eine gute Balance aus Effizienz und Effektivität pflegen, um langfristig erfolgreich zu sein.

Meine steile These ist, dass uns die Effizienzgläubigkeit seit Jahrhunderten tief in den Knochen steckt und zwar aus unser religiösen Historie heraus. Im Christentum hat Verzicht einen hohen Stellenwert: Mönche kasteiten sich, lebten asketisch, um Gott näher zu kommen und um sich damit selbst zu erhöhen. In vorindustriellen Zeiten dachten Bauern, dass Armut und Verzicht ihr Lebenszweck seien, der ihnen einen Platz im Himmel sichere. Die Epoche des vormodernen Alteuropas bezeichnen Historiker (z.B. O. G. Oexle) daher mit der Formulierung „soziale Ordnung durch Ungleichheit“.

Im Zuge der Reformation und der Trennung von katholischem und evangelischem Glauben, grenzten sich die „Protestanten“ ab, in dem sie die Opulenz der katholischen Kirchen ablehnten und ihrerseits Verzicht und Einfachheit feierten. Die extreme Ausprägung des evangelischen Glaubens fand sich im Calvinismus wieder. Protestanten befürworteten im Gegensatz zur katholischen Kirche die Ideen der Aufklärung. In Max Webers Schrift „Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ zeigen sich Tugenden der Protestanten wie z.B. Fleiß, Selbstdisziplin, Sparsamkeit und Verzicht förderlich für die Wirtschaft in protestantisch geprägten Regionen, insbesondere in den USA.

Fülle und intelligente Verschwendung

Im Gegensatz dazu ist der Begriff „Fülle“ auch mit Überfluss, Verschwendung, Degeneration und sogar Stagnation behaftet und damit nicht uneingeschränkt positiv besetzt. Da dieses gedankliche Vermächtnis des „protestantischen Verzichts“ sich auch in klassischen, betriebswirtschaftlichen Modellen niedergeschlagen hat, läßt es sich auf Unternehmen übertragen: Ein ehemals religiös-weltanschauliches Paradigma sorgt auch dafür, dass reduziert wird, was nicht bei drei auf dem Baum ist.

Der Begriff „Fülle“ kann für ein Lean-Unternehmen jedoch eine sehr positive Auswirkung haben, die der Wertschöpfung dient und die dann zum Tragen kommt, wenn es um die „intelligente Verschwendung“ geht. Darum soll es in meinem nächsten Beitrag gehen.



Kommentare

Jan Bieler
Jan Bieler, am 04. März 2020 um 22:41 Uhr
Interessante Verknüpfung, zumal wir die letzten knapp 3 Jahre uns privat mit "Magic Cleaning" und den Ansätzen von Marie Kondo beschäftigt haben. Ich sag nur, das ist eine sehr schöne Erleichterung zu Hause und letztendlich bringt das, was noch da ist und seinen Platz hat, eine angenehmere Fülle in die 4 Wände. ;-)

Kommentar schreiben

Melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen.

Teilen

Weitere Inhalte