Training Within Industry als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel – nicht nur im Baugewerbe und Handwerk
Der Fachkräftemangel ist derzeit ein allgegenwärtiges Thema, besonders im Baugewerbe und Handwerk. Doch dieser Engpass ist keineswegs neu und der Umgang damit ebenso wenig. Bereits vor über 80 Jahren standen die USA vor einer ähnlichen Herausforderung, als ein Großteil der männlichen Arbeitskräfte im Zweiten Weltkrieg in Asien und Europa im Einsatz war. Diese Situation hinterließ große Lücken in den Belegschaften nahezu aller Branchen.
Diese Lücken wurden durch drei Bevölkerungsgruppen gefüllt: Langzeitarbeitslose aus der Großen Depression, landwirtschaftliche Arbeitskräfte und Frauen. Allerdings fehlten diesen neuen Arbeitskräften die nötige Ausbildung und Erfahrung in der Industrie. Die abwesenden Fach- und Führungskräfte wurden nicht nur für die produktiven Arbeitsprozesse vermisst, sondern auch für die Schulung, Einarbeitung und Integration der neuen Arbeitskräfte in die für sie fremde Arbeitswelt.
Daher initiierte die US-Regierung in den frühen 1940er-Jahren ein Programm namens Training Within Industry (TWI), das sich auf die drei zentralen Bedürfnisse jeder Führungskraft konzentrierte:
- Die Fähigkeit zu unterweisen
- Die Fähigkeit, gute Arbeitsbeziehungen zu schaffen
- Die Fähigkeit, Arbeitsprozesse kontinuierlich zu verbessern
Diese drei Fähigkeiten wurden in praxisorientierten Schulungen vermittelt, die parallel zum Tagesgeschäft der Teilnehmer stattfanden. Zwischen 1942 und 1945 nahmen an diesen Schulungen zahlreiche Personen teil:
- Job Instruction Trainings (Arbeitsunterweisungen) mit 1.000.000 Teilnehmern
- Job Relations Trainings (Arbeitsbeziehungen) mit 490.000 Teilnehmern
- Job Methods Trainings (Methodenverbesserung) mit 245.000 Teilnehmern
Diese Trainings fanden in 5x 2-Stunden-Blöcken innerhalb einer Woche statt, sodass die Schulungen parallel zur normalen Arbeit durchgeführt werden konnten. Die Teilnehmer brachten aktuelle Themen aus ihrem Arbeitsalltag in die Schulungen ein, was die Praxisnähe erhöhte.
Was heute weitgehend vergessen ist: Die deutsche Meisterausbildung nutzt die 4-Stufen-Methode zur Unterweisung, die auf das Job Instruction Training zurückgeht. Ebenso basiert das verbreitete Lean Management, einschließlich seiner Anwendung im Bauwesen als Lean Construction, auf dem Training Within Industry. Diese Methoden wurden nach 1945 von den Besatzungstruppen nach Japan und Deutschland gebracht, um den Wiederaufbau und die Demokratisierung zu unterstützen. In Deutschland wurde die Methodik Teil der Meisterausbildung, und in Japan bildete sie die Grundlage für das Toyota-Produktionssystem, das später als Lean Management weltweit bekannt wurde.
Nach diesem historischen Überblick möchte ich nun drei konkrete Situationen aus meiner Arbeit mit Kunden schildern, die den verborgenen Nutzen der Trainingsmethoden verdeutlichen.
Die erste Situation ereignete sich bei einem Job Instruction Training für ein Unternehmen aus dem Stuckateur-Maler-Tapezierer-Gewerbe. Die Teilnehmer waren erfahrene Mitarbeiter, die Baustellen selbstständig leiten, jedoch keine Meisterausbildung haben. Sie beherrschen ihr Handwerk perfekt, hatten jedoch nie gelernt, wie man Wissen effektiv weitergibt. Im ersten der 2-Stunden-Blöcke sollte ein Vorarbeiter einem Auszubildenden das Auftragen von Putz beibringen. Dabei übersah er die korrekte Haltung der Traufel zu erklären, was dazu führte, dass der Auszubildende den Putz nicht richtig auftragen konnte. Dieser Misserfolg zeigte den Teilnehmern die Bedeutung einer strukturierten Unterweisung.
In der zweiten Situation auf einer Maler-Tapezierer-Baustelle stellte ein Vorarbeiter fest, dass ein erfahrener Mitarbeiter 20-30% langsamer arbeitete als die anderen. Intensive Beobachtungen zeigten, dass der Mitarbeiter durch jahrelange Arbeit in der Altbausanierung ungeeignet war, die spezifischen Techniken des Neubaus anzuwenden. Eine gezielte Arbeitsunterweisung zu Beginn hätte das Problem vermieden und die Leistung des Mitarbeiters verbessert.
Der dritte Fall betrifft eine Industriefußbodenbaustelle, wo ein Außendienstmitarbeiter des Herstellers eine schnellere Methode zum Bohren von Löchern im Untergrund demonstrierte. Auch hier hätte eine bewusste Arbeitsaufteilung und Unterweisung einen großen Vorteil gebracht. Dies zeigt, dass die Job-Instruction-Methodik nicht nur bei der Einarbeitung neuer Mitarbeitergruppen hilft, sondern auch bestehendes Personal effizienter machen kann.
Falls sich jetzt Widerspruch regen sollte, will ich auf die sehr anspruchvolle Ausbildung zum Linsenschleifer (bspw. für Scheinwerfer) aus den 1940er-Jahren verweisen.
Vor 1940 wurden dafür 5 Jahre benötigt. Ende 1940 waren es dann noch 4-6 Monate, welche sich 1945 auf weniger als 6 Wochen reduziert hatten. All diese Fortschritte waren ohne Veränderungen in der Ausrüstung o.ä. möglich und basierten alleine auf veränderten Schulungsmaßnahmen mittels des Job Instruction Trainings (was auch als kleiner Wink mit dem Zaunpfahl für aktuell weitverbreitete Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekte dienen soll, die viel zu oft den Ausgangspunkt vernachlässigen).
Zusammengefasst bringt die Job-Instruction-Methodik nicht nur direkte Vorteile durch die Integration neuer Arbeitskräfte, sondern verbessert auch die Effizienz und Motivation der bestehenden Belegschaft. Die fortlaufende Verbesserung der Arbeitsprozesse durch das Job-Methods-Programm erhöht die Produktivität, indem wertschöpfende Arbeiten optimiert und nicht-wertschöpfende Tätigkeiten reduziert werden.
Mehr Informationen über Training Within Industry und die Job Trainings finden Sie auf dieser Übersichtsseite.
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