Der Junkie - Folge 44
Das Vorstandsbüro von WMIA Incorporated gleicht einer Bühne. Natürlich im übertragenen Sinne. Auf ihr laufen die Akteure des Managements auf den Brettern, die die Welt bedeuten und manche dieser Bretter versucht man zu durchbohren, um … ja, um … was eigentlich? Vielleicht, um Boden unter den Füssen zu haben.
Boden unter den Füssen zu haben ist wichtig im Management, ganz wichtig… aus welchen Gründen auch immer. Das heißt dann im Insiderjargon gesicherte Erkenntnis … Rechtfertigung, Plausibilität.
Letztendlich läuft es alles auf die quälende Frage hinaus, ob man alles richtig macht.
Beim letzten Interview hat der Clown den CEO des weltgrößten Unternehmens WMIA Incorporated einen Junkie genannt.
Die Erklärung für diesen zweifelhaften Titel ist er Herrn Dr. Nemo schuldig. Man muss sich schon fragen, ob der Clown nicht etwas zu weit geht. Wer den CEO des weltgrößten Unternehmens einen Junkie nennt, lehnt sich weit aus dem Fenster und weniger selbstbewusste Menschen könnten dies als Beleidigung auffassen. Nemo allerdings ist stahlhart, der kann das ab.
Der Clown, soviel sei gesagt, ist nicht ein Witzemacher, er ist sehr wohl reflektiert und sein Verstand ist klar. Solche Menschen sind rar im Zirkus des Lebens.
Wenn es um Klarheit geht, werden der Worte wenig und manche vollmundigen Mäuler bekommen schmale Lippen, wenn der Clown ihnen ins Poesiealbum schreibt.
Also, man darf gespannt sein, wie das weitergeht.
Der Interviewer hat übrigens mal nachgeschaut, was es mit dem Begriff „Junkie“ auf sich hat. Junkies sind Menschen, die einer Droge verfallen sind und darüber die Fähigkeit verloren haben, eigenständig zu denken … sie sind hirnlos drogengesteuert. Soviel vorab.
Der Interviewer begegnet Elvira im Vorzimmer.
Elvira lediglich eine Assistentin zu nennen, trifft es nicht. Sie schön zu nennen, wäre zu wenig. Sie klug zu nennen, wäre zu trocken. Sie, und das erlebt der Interviewer jedes Mal neu, sie kreiert einen Kontext, eine Atmosphäre im Vorstandsbüro, einen Rahmen, in dem sich gerne leben und arbeiten lässt. Insofern kann man das sogar modern nennen, dies Schaffen von Kontexten, in denen man gerne arbeitet. Insoweit erübrigt sich heute der Hinweis auf ihr neues Kleid, das nicht nur sie umhüllt, sondern auch jeden Betrachter umgarnt.
Dr. Nemo ist wie immer gut gelaunt. Das ist auf dieser Ebene der Hierarchie gut eingeübt.
Außerdem … wer ist das schon, der Clown …
Nemo: „Hi, Rotnase!“
Clown: „Hi, Junkie!“
Nemo: „Das hatten wir doch schon!“
Auf dem Schreibtisch des Dr. Nemo stapeln sich Bücher. Eines fiel gerade herunter.
Nemo: „Ich komme gerade von einem Vorstandskongress, die Kollegen der großen Unternehmen der Welt gaben sich ein Stelldichein wie jedes Jahr in der Schweiz. Hier ist das führende Buch der Wissenschaft des Managements „Simplicity, Strukturen und Lösungen für den Umgang mit unsicheren Zeiten“, erschienen im Unratgeber Verlag.“
Interviewer: „Habe ich auch gelesen.“
Clown: „Ich nicht!“
Nemo: „Das müssen Sie lesen, steht bei Amazon auf Platz Eins. Der Autor war unser Keynote Speaker auf dem Kongress.“
Clown: „Kennen Sie die Schlange Kaa?“
Nemo, Elvira und der Interviewer rufen begeistert so wie damals im Kindergarten bei der Filmvorführung: „Ja, ist die nicht perfide? Da muss man aufpassen.“
Nemo: „Ich falle nicht darauf rein. Außerdem ist das Kinderkram, ich glaube an so etwas nicht.“
Interviewer: „Ich auch nicht.“
Elvira schaut gespannt und kaut an ihrem Bleistift.
Clown: „Die Schlange Kaa, sie lebt real im Dschungelbuch des Lebens, des Managements und berührt eine Sehnsucht der Menschen, die sich nie erfüllen wird, die Sehnsucht nach einer Antwort.“
Nemo: „Ich kenne die Antwort. Das ist mein Job!“
Clown: „Von wem stammt die Antwort?“
Nemo: „Hier lesen Sie mal das Buch. Wir strukturieren unser Unternehmen jetzt um.“
Clown: „Sie glauben, was der Autor schreibt?“
Nemo: „Das ist wissenschaftlich bewiesen!“
Clown: „Ach ja, ist das so?“
Interviewer: „Mmmh …“
Das ging noch eine Weile so, so ähnlich aussichtslos wie ein Gespräch mit einem Junkie.
Clown: „Ihre „Wissenschaft“ ist Ihre Droge. Eigentlich könnten Sie selber denken!“
Nemo: „Ich muss mich doch absichern!“
Interviewer: „Stimmt!“
Clown: „Mag sein. Ohne Ihre sogernannte Wissenschaft ist es gefährlich, ein CEO zu sein.“
Nemo: „Sehen Sie …“
Clown: „Allerdings nur mit Wissenschaft ist man ein Junkie!“
Nemo: „Verstehe.“
Interviewer: „Und nun?“
Sicher ist, dass Dr. Nemo ins Nachdenken gekommen ist.
Aber wie immer bricht er abrupt auf zur Sitzung mit Irgendwem.
Elvira geleitet den Interviewer und den Clown zum Fahrstuhl. Auf dem Weg stolpert der Interviewer und verstaucht sich einen Knöchel und wie das Schicksal es will, ist der Fahrstuhl wieder ausgefallen.
Der Clown bietet dem Interviewer an, ihn auf seinem Buckel die 126 Stockwerke herunterzutragen.
Ja, Scaramouche hat einen Buckel wie jener Quasimodo.
„Vertrauen Sie mir!“, sagte der Clown.
Was der Clown mit Vertrauen meint und wie es damit bei Dr. Nemo bestellt ist, erfahren wir nächsten Dienstag …
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