Warum die Doppelbesetzung vor dem Ruhestand eine trügerische Lösung sein kann

Warum die Doppelbesetzung vor dem Ruhestand eine trügerische Lösung sein kann

Im Luftverkehr ist die Doppelbesetzung im Cockpit eine bewährte Vorgehensweise, um vor allem die Sicherheit zu gewährleisten. Interessanterweise ist das Risiko eines Vorfalls mit negativem Ausgang geringer, wenn der erfahrungsmäßig rangniedrigere Co-Pilot der Flying Pilot ist und der Flugkapitän der s.g. Monitoring Pilot. Der Hintergrund dieser Rollendefinition geht zurück auf die Einführung des s.g. Crew Resource Management ab den 1970er-Jahren, als die zunehmende Zahl von Vor- und Unfällen die Fluggesellschaften und Aufsichtsbehörden dazu bewegt haben, die Hierarchie im Cockpit zu überdenken und neuzugestalten.

09. April 2025 um 04:30 Uhr von Götz Müller
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Im Kontext von Nachfolgesituationen vor dem Ruhestand von Experten in Unternehmen kann diese Form der Doppelbesetzung einer Rolle (faktisch fliegt immer nur eine einzige Person) allerdings eine trügerische Lösung sein.

Diese Aussage möchte ich an drei Aspekten festmachen:

  • Unbewusstes Wissen bleibt intransparent
  • Inhaltliches Wissen und Erfahrung schafft noch keine Transferkompetenz
  • Singuläre und lang-zyklische Aktivitäten sind besonders gefährdet

Unbewusstes Wissen bleibt intransparent

Im Luftverkehr teilt sich das Wissen und die Erfahrung der Piloten in zwei engumrissene Bereiche auf. Da ist zum einen die generelle Fähigkeit eine Flugzeug zu fliegen (im Grunde ähnlich wie ein Auto zu fahren). Diese Fähigkeit wird im Rahmen des Erwerbs eines Flugscheins sehr strukturiert vermittelt. Der zweite Bereich dreht sich um die technischen Aspekte eines bestimmten Flugzeugtyps, für die man als Pilot ebenfalls entsprechende Schulungen erhält, um dann die Zulassung für diesen Flugzeugtyp zu erhalten. Beide Aspekte basieren auf einem sehr hohen Standardisierungs- und damit verbundenen Dokumentationsgrad, die zusätzlich durch Checklisten unterstützt werden, welche sich teilweise auch aus zurückliegenden Vorfällen ergeben haben (hier sehe ich gewisse Ähnlichkeiten mit den Checklisten der Layered Process Audits, nur dass im Luftverkehr ein Checkpunkt nicht wegfällt, wenn er nur oft genug eingehalten wurde).

Im „normalen“ geschäftlichen Kontext in Unternehmen existiert nun leider noch kein vergleichbarer Standardisierungsgrad und ein nicht zu unterschätzender Anteil der Abläufe beruht auf unbewusstem Wissen und der resultierenden Erfahrung der Experten, die manchmal oder oft auch nicht so transparent sind, wie das im Luftverkehr der Fall ist. Das können dabei kleine Handgriffe oder umfangreiche, komplexe Geschäftsprozesse sein.

Inhaltliches Wissen und Erfahrung schafft noch keine Transferkompetenz

Wie schon erwähnt, beruht die Pilotenausbildung auf hochgradig standardierten Abläufen und Simulationsumgebungen, die auch explizit die Behandlung von Sonderfällen im Flugverlauf mit externen Einflüssen (Technik, Wetter usw.) beinhaltet und die mit jedem weiteren, erstmalig auftretenden Vorfall ergänzt werden. Im allgemeinen Unternehmenskontext und in speziellen Nachfolgesituationen existieren typischerweise keine vergleichbaren Ausbildungen und die Experten besitzen trotz ihrem inhaltlichen Wissen und der Erfahrung aber eben keine Transferkompetenz, wie sie (sich) dieses Wissen und die Erfahrung bewusstmachen und auf eine strukturierte Weise an andere, insbesondere ihre Nachfolger weitergeben. Oft basiert das auf einer Form von unbewusstem Versuch und Irrtum, die zwar im Fehlerfall nicht so fatal wie im Luftverkehr enden aber trotzdem sicherlich keinen positiven Einfluss auf den Geschäftserfolg haben.

Singuläre und lang-zyklische Aktivitäten sind besonders gefährdet

Während ein Flug einen klaren Beginn und ein klares Ende hat, ist diese Abgrenzung in Geschäftsprozessen oft nicht so deutlich gegeben und nicht selten von den Beteiligten auch so nicht gewollt. Die bekannten Sonderfälle (wie oben angedeutet) sind auch Teil oder sogar der Kern der Pilotenausbildung. Im Unternehmenskontext fallen diese Sonderfälle dagegen eher unter den Tisch (mangels Dokumentation). Das gilt vergleichbar auch für sehr langlaufende Prozesse wie bspw. im Vertriebskontext von Investitionsgütern des Anlagenbaus oder in Produktentwicklungsprozessen, die naturgemäß als Projekte mit der damit verbundenen Einmaligkeit abgewickelt werden. Wenn im Zeitraum der Doppelbesetzung diese singulären oder lang-zyklischen Aktivitäten gar nicht oder nicht vollständig auftreten, ist es auch kein Wunder, wenn der entsprechende Wissens- und Erfahrungstransfer auf der Strecke bleibt.

Mit diesen Überlegungen will ich jetzt den grundsätzlichen Nutzen von Doppelbesetzungen vor Ruhestandssituationen von Fach- aber auch Führungsexperten gar nicht in Abrede stellen. Sie sind sicherlich besser als gar nichts zu tun. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es zusätzlich begleitende Maßnahmen erfordert, die den Wissens- und Erfahrungstransfer unterstützen, speziell weil es sich für die Experten und auch für die nachfolgenden Personen praktisch immer auch um einmalige und damit erstmalige Situationen handelt, für die es auch kaum die Chance auf einen zweiten Anlauf gibt.

Vor diesem Hintergrund habe ich Elemente des Training Within Industry entsprechend erweitert, um die unternehmensindividuellen Randbedingungen wie das Geschäftsmodell und die Prozesslandschaft zu berücksichtigen und in den Transferprozess zu integrieren. Das entstandene Job Transfer Training habe ich auch hier auf der LeanBase in drei Artikeln beschrieben.


Wenn Sie wissen möchten, wie Nachfolgeprozesse in Ihrem Verantwortungsbereich strukturiert begleitet werden können, nehmen Sie gerne Kontakt mit mir über die Kontaktdaten in meinem LeanBase-Profil auf.

Diese Fragen können Sie sich jetzt zum Abschluss stellen:

  • Welche Relevanz können Sie in Ihrem Umfeld identifizieren?
  • Welche Konsequenzen hatten sich schon aus dem suboptimalen Wissen- und Erfahrungstransfer ergeben?
  • Wie können Sie weitere Folgen für die Zukunft vermeiden?


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