10 Tipps für eine positive Fehlerkultur

10 Tipps für eine positive Fehlerkultur

Fehler passieren, ob wir wollen oder nicht. Reflexartig, wie aus der Pistole geschossen, reagieren wir auf Fehler oft mit: Wer hat diesen Fehler gemacht? Der Gegenschuss folgt: Ich war es nicht!

#leanmagazin
Podcast, am 24. 09. 2023 in LeanMagazin von Guenther Wagner


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Angelehnt an einen Kommentar in einer meiner letzten Beiträge starte ich heute diesen Artikel. Dabei versuche ich, die aus meiner Erfahrung heraus relevanten Aspekte in Bezug auf ein erfolgswirksames, umsetzbares Fehler-Management aus der Unmenge an Ratschlägen und Anweisungen herauszufiltern. Weiter unten im Artikel finden Sie 10 konkrete Tipps zur Implementierung einer positiven Fehlerkultur in Ihrem Unternehmen.

Zuvor möchte ich jedoch einige Aspekte gesondert anführen. So beginnt der erste heikle Punkt in der Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Fehler“ bei der richtig gestellten Frage. Statt „Wer war das?“, sollte besser gefragt werden:

  • Warum ist das so passiert?

Das Thema „Fehler“ berührt viele Menschen. Selbst in Unternehmen hat sich herumgesprochen, dass eine positive Fehlerkultur für den Erfolg wichtig wäre. Tagtäglich werden wir mit vielen kleinen und manchmal mit großen Fehlern konfrontiert – selbst und fremd ausgelöst. Von den unzähligen Irrtümern und Fehlern nehmen wir jedoch nur einen kleinen Teil möglicher Fehlhandlungen wahr. Viele Irrtümer und Fehler werden von einem bestimmten Standpunkt aus einfach nicht gesehen, aber aus einer anderen Perspektive betrachtet sehr wohl. Aber solange nicht darüber geredet wird, ist ein Fehler kein Fehler. So gesehen erliegen wir schon bei der Fehlerwahrnehmung einem Irrtum oder einer Verzerrung. Wir gehen fließend über von dem ersten heiklen Punkt in den zweiten:

Bei diesem Faktor werden sich die Geister vermutlich in einigen Aspekten scheiden. Die Fehlerrelevanz und Fehlerverurteilung wird sehr unterschiedlich interpretiert und entsprechend geurteilt – abhängig vom Beruf, der Sozialisierung und charakterlicher Veranlagung. „Irren ist menschlich“ und begleitet jeden von uns tagtäglich unüberschaubare Male. Dieses Irren und die damit verbundenen Fehler prägen uns in unserer Persönlichkeit und formen unseren Charakter. Diese Aussage, ebenfalls aus einem Kommentar zu einer meiner Beiträge entnommen, veranschaulicht gut, dass aufgrund der persönlichen Prägungen Fehler und Irrtümer individuell unterschiedlich aufgefasst und bewertet werden.

Wir sind in der einen oder anderen Weise alle durch Fehler und Irrtümer geformt worden bzw. haben uns dadurch formen lassen. So gesehen sind wir alle Fehler-ExpertInnen, die durch langjährige Erfahrung im Fehlerumgang und Fehlerverständnis geübt und professionell zu agieren im Stande wären. Doch im Berufsalltag zeigt sich weniger die Professionalität als vielmehr die Unsicherheit, Angst und das Von-sich-wegschieben von Fehlern. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass irgendetwas im Umgang mit der Fehlerkultur und der zugrundeliegenden Fehlererziehung nicht optimal läuft.

So stelle ich mir weitere Fragen:

  • Warum werden Fehler von vielen so negativ aufgefasst?
  • Was hat das für Folgen für die Arbeitsweise und für anstehende Veränderungsmaßnahmen von Führungskräften und MitarbeiterInnen?
  • Wie kann das verbessert werden?

Beginnen wir mit der Haltung und Einstellung Fehlern und Irrtümern gegenüber.

Aus welcher Haltung heraus sind wir im Stande, Fehler und Irrtümer offen, ehrlich und couragiert zu tragen und ertragen zu können?

An diesem Punkt werden vielleicht schon einige still und heimlich bekennen, dass sie Fehler ungern zugeben, und die Verantwortung für Fehler nicht sehr gut zu tragen bzw. emotional zu ertragen im Stande sind. Fehler verursachen bei vielen Stress, ausgelöst durch die Hirn-Areal-Reaktionen Bestrafung und Schamgefühl. Im Stress wirkt das Reptilienhirn, und wir können nur noch im Notprogramm, sprich im Angriffs- oder Fluchtmodus reagieren.

Die Angst vor Bestrafung sitzt vielen von uns sehr tief im Nacken, und macht uns leider schwach. Ein Angriff aus einer Stressreaktion heraus hat nichts mit Stärke zu tun, sondern ist ein Notprogramm der Natur. Das ist dazu gedacht, um kurzfristig das Überleben zu sichern. In einzelnen Situationen mag dieses Notprogramm im Beruf und in einzelnen anderen Situationen wirklich wichtig sein, aber ganz oft ist es das nicht.

Interessanterweise setzen aber gerade all jene Organisationen auf eine positive Fehlerkultur, die eigentlich in hoch gefährlichen Bereichen tätig sind – gerade dort, wo es tatsächlich um Leben und Tod geht. Das sollte doch zu denken geben. Diese Organisationen, die HROs bemühen sich, Fehler und die mit Fehlern einhergehenden Symptome wie Stress und emotionale Ausnahmezustände nicht wegzuschieben, sondern handfest und ehrlich zu akzeptieren. Damit werden das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in sich und die anderen gestärkt, um Fehler sehr rasch aufzuspüren, die Ruhe zu bewahren und die Verantwortung couragiert mit kräftigem Rückgrat zu tragen. Diese Organisationen erkennen einen wesentlichen Erfolgsaspekt an:

Wo Fehler passieren, fehlt etwas.

Das Misslingen ist demnach dahingehend zu interpretieren, dass etwas zu ergänzen und damit zu verbessern ist. Das liegt in der Natur des Lebens, und somit auch in der Natur der Menschen. So gesehen ist es fast paradox, im Beruf wie auch sonst, von Menschen Fehlerlosigkeit zu verlangen. Genau genommen wissen wir das alle.

Fehler-ExpertInnen sind wir alle

Wir sind alle, jede/r in seiner und ihrer Weise ExpertInnen im Umgang mit Fehlern. Aber die damit verbundene Selbstsicherheit scheint im Beruf, wie oft auch privat, nicht voll zur Wirkung zu kommen.

In unserer Kindheit waren wir Fehler-Profis.

Tagtäglich haben wir als Kinder aufs Neue gelernt, mit Fehlern umzugehen. Die Fehler waren ein notwendiger Schritt, um zu reifen und sich weiterzuentwickeln. Bis zur Schule ist für viele Kinder das positiv besetzte Lernen aus Fehlern so normal wie das Essen von einem Apfel. Sicher gibt es Familien, wo es nicht ganz so optimal läuft und die Fehler-Resilienz negativ getriggert wird. Mit Beginn der Schule verschärft sich jedoch die Situation für alle, auch für jene, wo es bis dahin weitgehend positiv war. Selbstverständlich gibt es im Elternhaus viele Situationen, wo Fehler bestraft werden, weil Grenzen zu weit überschritten werden.

Auch das ist ein Aspekt im Umgang mit Fehlern. Wir bestrafen Fehler, weil wir uns durch einen Fehler u.a. in unserer Komfortzone gestört fühlen. Jeder Fehler rührt an den eigenen Grenzen, und damit an den eigenen Wertvorstellungen und emotionalen Befindlichkeiten. Kinder tun das in intensiver Weise, und es verlangt außerordentlich viel, um gemeinsam mit den Kindern eine positive Fehlerkultur aufzubauen. Solange das Vertrauen und die Liebe zwischen Eltern und Kind stark genug ist, führen die manchmal zu rasch verurteilten Fehler der Kinder noch zu keinen gravierenden Fehler-Fehlhaltungen.

Doch dort, wo das Vertrauen und die emotionale Wärme im Fehlerumgang zu sehr abkühlt, spätestens in der Schule, dort reagieren dann einige mit entsprechenden Selbstschutz-Fehlerprogrammen wie Vermeidung, Verdrängung, Ignorieren, Risiken meiden, uvm. Im Berufsalltag sind diese Verhaltensweise leider viel zu oft zu sehen. Wenn ich das so schreibe, dann fühle ich fast einen Knoten im Hals. Ich möchte in diesem Beitrag wirklich niemanden zu nahetreten. Im Schreibprozess selbst merke ich, dass die Auseinandersetzung mit einer positiv geleiteten Fehlerkultur doch außerordentlich tiefgeht, und alles andere als einfach ist.

Jede Lebensbiografie ist von unfassbar vielen positiven wie auch negativen Fehlererfahrungen geprägt.

Das wirkt in vollem Maß und der vollen Wucht auf das Führungsverhalten und auf die Reaktionen der MitarbeiterInnen. Die Aussage: „Fehler sind schlecht und wer Fehler macht, der ist auch schlecht“, sitzt tief in vielen von uns drinnen. Solange dieser und ähnlich negative Gedanken in Bezug auf Fehlern in uns herumgeistern, solange wird es keinen konstruktiven Umgang mit Fehlern geben.

Das persönliche Fehlerbewältigungs-Potential von vielen von uns liegt damit brach. Man tut lieber gar nichts, als Fehler zu machen. Doch gerade das kann in der heutigen Zeit die Fehleranfälligkeit noch weiter anheben. So gesehen muss endlich etwas Befriedigendes, und damit auch Erfolgsversprechendes getan werden. Aus dieser Einsicht heraus ist das Implementieren einer positiv wirksamen Fehlerkultur viel mehr gleichzusetzen mit der Entwicklung einer positiv begleitenden Lernkultur im Unternehmensalltag.

10 Tipps für ein erfolgsversprechendes Fehler-Lern-Management

  1. Es beginnt bei der Akzeptanz. Niemand ist perfekt, jeder macht Fehler. Zum einen braucht es beim Fehlerzugeständnis Selbstkritik, aber im gleichen Maß einen liebenden Blick. Mir ist bewusst, dass das Wort „Liebe“ im Businessalltag ein äußerst gewagtes Wort ist. Doch ohne dieses Gefühl werden Fehler weiterhin wie unüberwindbare Hürden den Blick für die Lösungen verdunkeln.
  2. Beginnen Sie als Führungskraft als Vorbild für Ihre MitarbeiterInnen. Wagen Sie es Fehler einzugestehen, und das daraus mögliche Lernpotential sichtbar werden zu lassen. Seien Sie ehrlich und menschlich. Damit ermutigen Sie Ihre MitarbeiterInnen Ihnen zu folgen, und Fehler rascher zuzugeben. Alleine dieser Aspekt bringt enorm viel und durchbricht die Fehlerkette in einem Punkt, wo trotz Fehler noch nicht alles verloren ist.
  3. Fehler und Irrtümer weisen darauf hin, dass wir etwas übersehen haben, dass wir etwas vergessen haben und etwas besser bzw. klüger umsetzen könnten. Um das Übersehene leichter ausfindig zu machen, stellen Sie Ihren MitarbeiterInnen in Augenhöhe und mit Offenheit viele Fragen.
  4. Wagen Sie es als Führungskraft gemeinsam mit Ihren MitarbeiterInnen in manchen Bereichen, dort wo Sie genug vertrauen haben, mit Ideen und den daraus möglicherweise aufkommenden Fehlern zu experimentieren. Seien Sie sich auch bewusst, dass der Respekt vor Ihnen als Führungskraft Ihren MitarbeiterInnen beim Experimentieren im Weg stehen kann.
  5. Bitten Sie andere um Rat, und fordern Sie ehrliches Feedback ein. Als Einzelkämpfer ist die Gefahr, Fehler zu machen und Fehler zu verschweigen weitaus höher.
  6. Wagen Sie es, hie und da Ihr inneres Kind zu Wort kommen zu lassen. Als Kind haben Sie, wie alle anderen Kinder auch im Spielen Fehler gemacht, und daraus unfassbar viel gelernt.
  7. Und wagen Sie es, sich in die Rolle der Eltern zu versetzen und in einem gedanklichen Spiel die Fehler Ihrer Kinder nicht gleich negativ zu bewerten, sondern das positive an den Fehlern zu sehen.
  8. Fehlertoleranz bedeutet nicht, mehr Fehler zu machen, sondern sensibel, liebevoll und vertrauensvoll auf mögliche Fehler und Irrtümer zu reagieren.[12] Es führt nicht dazu, zu jedem Fehler Ja zu sagen, sondern ein Nein so zu vermitteln, dass das Gegenüber sich motiviert fühlt, den Fehler zu verantworten und daraus zu lernen.
  9. Das fordert Reflexion von jedem. Daran mangelt es leider immer häufiger – selbstverständlich mit einigen Ausnahmen. Das Reflektieren braucht, genau wie das Schreiben- und Lesen Training und Übung. Doch in unserer schnelllebigen Zeit fixieren wir uns zu sehr auf die rationalen Aspekte, und lassen philosophisch anmutendes Beiwerk gerne beiseite. Doch gerade diese Fähigkeit des Menschen, zu reflektieren und Intuition zu stärken, macht den Menschen Maschinen gegenüber unersetzbar. Das sollte gerade in Zeiten der Digitalisierung entsprechend gefördert und entwickelt werden.
  10. Das Erkennen und Akzeptieren von Fehlern fordert das Verlassen der Komfortzone, insbesondere der emotionalen, und verlangt Veränderung. Wie ich schon in vielen meiner Beiträge geschrieben habe, wir tun uns alle mit Veränderungen schwer. So genügt es nicht den Fehler nur liebevoll anzunehmen. Es braucht ebenso die Bereitschaft, die eigenen Komfortzonen zu verlassen und die durch Fehler freigesetzten Einsichten in Veränderungen zu überführen. Das führt unweigerlich wieder zu dem von mir immer wieder angeführten Punkt: Selbstentwicklung.

Der erfolgsversprechende Weg mit Fehlern

Als Beispiel für eine positiv besetzte Fehlerkultur, möchte ich jetzt das Kaizen-Prinzip anführen. Der Fehlerforscher Theo Wehner hat analysiert, dass mit Kaizen nicht der Weg nach oben gemeint ist, sondern die Veränderung zum Besseren in kleinen, ruhigen Schritten. Es geht nicht um den gewaltigen Innovationssprung. Das heißt, es gibt Umwege, Abwege, mal geht man nach unten, dann seitlich – sowie es u.a. Kinder im Lösen von Aufgaben gerne machen. Im Kaizen-Prinzip bringen die MitarbeiterInnen die Veränderungsvorschläge offen und frei ein, über die sich dann alle Beteiligten austauschen – KundInnen, MacherInnen, ManagerInnen. Kaizen ist kein linearer Prozess, und man lernt zu improvisieren.

Viele spannende Innovationen sind u.a. aus Fehlern entstanden. Mit einer negativen Fehlerkultur werden dagegen Fehler aus Angst verschwiegen, und damit wird viel kostbare Zeit zur Fehlerlösung verloren. Studien belegen eindeutig, je früher ein Fehler eingestanden wird, desto geringer fallen die damit einhergehenden Kosten aus. Das alleine sollte schon ein Grund sein, sich tiefgründiger mit einer positiv gelebten Fehlerkultur auseinanderzusetzen. Die pathologische Angst Fehler zu machen, hindert jedoch jeden Erneuerungsprozess. Die Annahme, dass Fehler und Irrtümer erst gar nicht passieren dürfen, bringt wirklich niemanden weiter.

Die Null-Toleranz ist so gesehen selbst ein  Fehler bzw. Irrtum.

Ich könnte noch viel mehr über Fehler und den in vielen Unternehmen vorhandenen Wunsch, eine positiv besetzte Fehlerkultur zu implementieren, schreiben, doch ich glaube fürs Erste genügt das. Abschließen möchte ich diesen Artikel mit der intuitiv von Steve Jobs, dem Applegründer gelebten Unternehmens- und Arbeitsauffassung:

Sobald eine Organisation scheinbar fehlerfrei läuft, muss man ernsthaft nachdenken, einen Fehler zu inszenieren.

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Kommentare

M. Bittrich
M. Bittrich, am 11. 10. 2021
Als ersten Reflex nach großen Unfällen, von ICE-Crashs bis Chernobyl, wollen viele Zeitgenossen immer sofort jemanden "hängen sehen", Schuldige, Sündenböcke, Buh-Leute. Man vergisst dabei nur gerne eins: Würden diese Personen, außer bei Vorsatz, streng bestraft, würde entweder niemand mehr das Risiko eines Jobs in diesem Umfeld annehmen, oder man würde zukünftig alles vertuschen, was nur geht. Und das ist wie im Artikel beschrieben sehr wenig produktiv. Daher sind z.B. Software-Unternehmen, die einen sog. "Fu.. Up Friday" feiern, oft erfolgreich, unabhängig von den eingesetzten agilen Mindsets dahinter. Diese Teams feiern jede Woche die 10 besten, also lehrreichsten Fehler! SO geht das.

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