Wenn Qualitätsansprüche der Nachhaltigkeit im Weg stehen
Folgende Situation: Du stehst im Supermarkt in der Obstabteilung vor der Auslage mit regionalen Bio-Äpfeln und willst 5 Äpfel kaufen. Greifst Du Dir die Äpfel ohne sie anzuschauen oder begutachtest Du sie, ob sie braune Stellen haben, beschädigt sind, o.ä.? Ich vermute, dass Du Dir die Äpfel – zumindest oberflächlich – anschaust, ob sie Deinem Qualitätsanspruch genügen, richtig? Damit bist Du nicht alleine, denn nahezu jede:r Konsument:in möchte gute Qualität für den Preis, den sie/er bezahlt.
Jedoch führt dieser Qualitätsanspruch nach der möglichst fehlerfreien und makellosen Ware dazu, dass wir uns in Deutschland eine völlig absurde Lebensmittelverschwendung leisten (11 Mio. Tonnen pro Jahr, ca. 78 kg pro Kopf u. Jahr; https://www.welthungerhilfe.de/lebensmittelverschwendung/#c16878) . „Nicht qualitätskonformes“ Obst und Gemüse sowie Lebensmittel nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (teilweise auch vorher) sortiert der Handel aus mit der Haltung „der/die Kund:in kauft es sowieso nicht“. Und vermutlich ist es auch überwiegend so. Ergänzend existieren groteske gesetzliche Vorgaben, die vorschreiben, welche Maße z.B. eine Salatgurke haben muss, um in den Handel zu kommen, so dass bereits bei der Ernte entsorgt wird und/oder auf dem Feld liegen bleibt.
Natürlich gibt es längst etliche Aktionen, wie z.B. „to good to go“, den Verein „Restlos glücklich“ oder die bundesweite Bewegung „foodsharing“, die sich des Themas annehmen – oder auch ganz aktuell der auf Freiwilligkeit basierende „Pakt gegen Lebensmittelverschwendung“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mit „dem“ Handel (https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/087-pakt-gegen-lebensmittelverschwendung.html). Im Mainstream angekommen ist das Thema noch lange nicht. Ganz zu schweigen, dass das Retten von Lebensmitteln, das sogenannte „containern“ immer noch strafrechtlich verfolgt wird.
Soweit so gut, bzw. gar nicht gut. Haben diese Umstände etwas mit Deiner Arbeit zu tun? Nicht direkt, aber sie sind übertragbar. Wenn Du Shopfloor-Mitarbeiter:in bist, dann wirst Du vermutlich dazu angehalten, auf Qualitätskennzahlen zu achten. Vielleicht kennst Du die Qualitätsnorm ISO 9001, die Deine Firma nutzt, um ein Qualitätsversprechen für die eigenen Produkte umzusetzen. Diese Qualität sorgt für Sicherheit und führt im Idealfall dazu, dass Kunden mehrfach und regelmäßig kaufen. Auch das ist gut.
Jetzt kommt jedoch der Moment, wo die Sache kippt. Deine Firma entscheidet sich, dass künftig eine Nachaltigkeitsstrategie umgesetzt werden soll – sie will klimaneutral werden, weil sie mitbekommen hat, dass der Klimawandel ökonomische Auswirkungen auf Unternehmen hat, d.h. es geht um den langfristigen Fortbestand Eures Unternehmens.
Bisher war es so, dass Deine Firma sich überwiegend auf kurzfristige Ziele – überwiegend ging es um die Steigerung der jährlichen Umsatzzahlen – fokussierte. Im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie muss jedoch mindestens mittelfristig gedacht werden, denn hier sind andere Messgrößen und -zeiträume wichtig. Dies wirkt sich insbesondere auf die Qualitätssicherung aus, denn diese kann mit der nachhaltigen Gangart kollidieren:
- Ressourcenverbrauch: Die Umsetzung der ISO 9001-Normen kann mitunter dazu führen, dass Ressourcen, wie Rohstoffe oder Energie, verstärkt eingesetzt werden, um die geforderten Qualitätsstandards zu erfüllen. Dies kann im Konflikt mit einer nachhaltigen Strategie stehen, die darauf abzielt, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und umweltfreundlichere Alternativen zu suchen.
- Abfallproduktion: Die ISO 9001 kann Anforderungen an die Abfallreduktion und Produktfehlervermeidung stellen, was auf den ersten Blick positiv ist. Allerdings könnten diese Bemühungen auch zu einem höheren Ausschuss führen, der wiederum zu erhöhter Abfallproduktion und Umweltbelastung führt, wenn diese Materialien nicht wiederverwendet oder recycelt werden.
- Kurzfristige Perspektive: Die ISO 9001 ist oft auf die Erfüllung kurzfristiger Ziele wie Kundenanforderungen und Produktqualität ausgerichtet. Eine Nachhaltigkeitsstrategie hingegen erfordert eine langfristige Perspektive und Investitionen, die sich möglicherweise nicht sofort auszahlen.
- Emissionsbilanz: Die ISO 9001 konzentriert sich normalerweise nicht direkt auf die Bewertung von Emissionen und Umweltauswirkungen. Wenn eine Nachhaltigkeitsstrategie jedoch die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und Umweltauswirkungen zum Ziel hat, könnten zusätzliche Maßnahmen und Berichterstattung notwendig sein, um diese Aspekte zu berücksichtigen.
Vielleicht war es in der Vergangenheit so, dass Deine Führungsperson das Motto ausgab „Lieber mehr Ausschuss akzeptieren, wenn der Kunde dafür zufrieden ist.“ Vielleicht war es auch so, dass ihr eine „Null-Fehler“-Qualitätssicherung gefahren habt. Egal wie es vorher war, künftig ist es notwendig, eine Balance aus Qualitätsstandards und Nachhaltigkeitsaspekten herzustellen. Folgende Handlungsempfehlungen unterstützen die Integration:
- Identifiziert Bereiche, in denen ihr Ressourcen sparen könnt, ohne die Produktqualität zu beeinträchtigen.
- Reduziert Abfall und arbeitet daran, Materialien besser zu recyceln oder wiederverwenden.
- Führt Bewertungen der Umweltauswirkungen Eurer Arbeit durch und identifiziert Möglichkeiten zur Emissionsreduktion.
Eine wirklich gute Nachhaltigkeitsstrategie bezieht übrigens Kunden und Lieferanten mit ein. Wie wäre es, wenn ihr mit Euren Kunden ins Gespräch kommt und überlegt, wieviel Spielraum für das Unperfekte möglich ist?
Laß' uns gerne bei der LeanGreen am 25./26. Oktober über Qualitätsmanagement und Nachhaltigkeit diskutieren! Infos zur LeanGreen findest Du hier: https://leanbase.de/green
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