Warum die Unwucht Stabilität erzeugt
Unwucht-Kybernetik kann den Wandel eines Unternehmens begleiten. Indem es die Fesseln eines vermeintlich stabilen Systems löst. Nach dem Tsunami der Destabilisierung ziehen Stabilität und Agilität ein.
Spielregeln stabilisieren soziale Systeme, die per se immer unrund laufen. Sie bringen uns aber auch dazu, diese nicht mehr zu hinterfragen, sie zwingen uns in eine Richtung. Wollen wir ein Unternehmen neu ausrichten, müssen wir es gezielt „unrund“ machen, müssen wir Spielregeln abbauen. Spielregelabbau ist der Katalysator des „Changes“.
Für Unternehmen, die den Wandel benötigen, verwende ich die Metapher der Unwucht-Kybernetik, aus der sich schließlich in der praktischen Umsetzung das Unwucht-Management ableitet.
Das steht im bewussten Gegensatz zu den bekannten Managementansätzen, die dominant auf das Herbeiführen eines homöostatischen Zustands abzielen – also eines Zustandes, der sich intern selbst reguliert.
Beweglichkeit sticht langfristig Gewinnmaximierung
Doch zunächst möchte ich Ihnen den Begriff der Unwucht im Unternehmenskontext in einem Bild verdeutlichen: So wie ein Seemann sich nicht gegen die Bewegungen des Schiffs wehren sollte, so wie ein Schiff mit den Wellen bewegt wird, so müssen wir lernen, auf die Unwucht der Umwelt einzugehen und diese idealerweise für uns zu nutzen.
Die lineare, geplante, mechanische Unternehmenswelt funktioniert eben nicht nur nach dem Motto „Think-Plan-Act-Improve“. In diesem alten Modell wird die Zukunft als lineare Verlängerung der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft betrachtet.
Die Welt ist aber nicht planbar, sie ist „chaotisch“; sie ist so frech, sich unserer Managementhybris zu entziehen. Hier kommen die Werte als stabilisierende Komponente ins Spiel. Sie wirken damit wie der Kreiselstabilisator (genannt „Gyroskop“) in der Falcon X-Rakete: Sobald sie aus ihrer Umlaufbahn zu geraten droht, zieht das Gyroskop den Flugkörper wieder ins Gleichgewicht zurück. Gyroskop und Unwucht sind damit zwei Antipoden, die das System in Schwingung halten – und erzeugen somit ständig den Zwang, neue Gleichgewichte zu finden.
Ihre Werte zu identifizieren, ist einfach: Sie sind die DNA Ihres Unternehmens, die basalen Grundeinstellungen Ihrer Profession. Vielleicht ist es „Mensch vor Gewinn“, vielleicht die Überzeugung, dass langfristiger Erfolg sinnvoller ist als kurzfristiger Donnerhall. Oder eben die bedingungslose Kundenzentrierung, die über allem anderen steht.
Aus Chaos und Unwucht den Gestaltungsauftrag ableiten
Nun wenden wir uns wieder den Spielregeln zu. Sie möchten auch gerne welche abbauen? Nur zu, tun Sie es! Listen Sie alle Spielregeln auf, die Sie nerven, die Sie als sinnlos empfinden. Malen Sie ein x-y-Koordinatensystem auf und nutzen Sie dazu zwei Achsen. Eine steht für die selbst empfundene Dringlichkeit, den inneren Druck, diese Spielregeln abbauen zu wollen. Die zweite Achse für die gefühlte Leichtigkeit, diese Spielregel ändern zu können.
Agile Unternehmen sind kundenzentrierter
Wenn sich jedoch in großen Unternehmungen etwa gegen die Gewinnmaximierung auflehnt, bewegt sich schnell auf der dünnsten aller Eisflächen. Man hinterfragt nicht das Mantra! Heute vielleicht nicht. Morgen aber, wenn wir es gelernt haben, Spielregeln zu hinterfragen, sieht das eventuell schon ganz anders aus. Dann können wir nämlich lernen, uns auf den Kunden anstatt auf den Gewinn zu konzentrieren und machen a) das Unternehmen überlebensfähiger, weil kreativer und b) sogar mehr Gewinn, da unsere Produkte für den Kunden erstrebenswerter werden.
Jetzt stoßen wir zum Kern der Materie vor: Nicht-kommunizierende und durch Dogmen gelähmte Organisationen sind zum Scheitern verurteilt! Sie verlieren eine der entscheidenden Fähigkeiten, sich auf neue Umgebungssituationen einzustellen. Ihre Dogmen zu leben, wird für die Organisation/das Unternehmen wichtiger als locker, beweglich und anpassungsfähig in der – obacht! – Hüfte zu bleiben.
Der ständige Impuls, sich erneuern zu müssen
In der Hüfte? Was um Himmelswillen hat denn die Hüfte damit zu tun! Die Hüfte ist der Teil Ihres Körpers, von dem Sie am meisten für Ihr Unternehmen lernen können. Sie beantwortet nämlich auf geradezu vortreffliche Art und Weise die Frage nach der Überlebensfähigkeit.
Der legendäre deutsche Orthopäde und Biomechaniker Pauwels hat erstmalig nachgewiesen, dass das dahinterliegende Prinzip der bewusst rau gestalteten Hüft-Oberfläche auf alle Kugelgelenke in der Natur übertragbar und genetisch verankert ist. Wieso hat sich dieses Bauprinzip als ein vorteilhaftes erwiesen, wo doch die unmittelbare Konsequent dieser Bauweise ein höherer „Abrieb“ in der Hüfte ist?
Die Lösung liegt in den Knorpeln, die die Hüftpfanne auskleiden – also quasi der vor Abrieb und Schmerzen schützenden Zwischenschicht. Bekäme die Knorpelschicht nicht ständig die Aufforderung, sich neu zu organisieren – sie würde nicht mehr auf-, ab- und umgebaut werden, langsam degenerieren und letztendlich ihre Funktion einbüßen. Fazit: Sie passt sich an, verändert ihre Struktur, um vital bleiben zu können.
Die Best-Angepassten überleben die Ultra-Spezialisten
Somit können wir an der Hüfte das Darwin´sche Prinzip des „Survival of the Fittest“, das „Überleben der Best-Angepassten“, erkennen und verdeutlichen. Jedoch zeigen sich hier auch gleich Darwins Grenzen: Die Best-Angepassten sind hochleistungs- und überlebensfähig, so die Ökonische, in die sie sich hineinfügten, bestehen blieb. Sie sind hocheffizient und bilden in ihrem Umfeld eine bestmögliche Lösung der Evolution dar. Doch was, wenn es zur Veränderung der Außenwelt kommt, wenn die Disruption dominiert, wenn nichts mehr ist, wie wir es kannten, wie es war?
Aus den Best-Angepassten kann schnell die Gruppe derer werden, die auf die Leistungsfähigkeit ihrer (biologischen) Lösung vertrauen, sich aber nicht mehr hinreichend schnell bei Veränderungen der Rand- und Rahmenbedingungen, des Kontextes, anpassen können. Somit kann der bestangepasste Zustand zum Überlebenshemmnis werden und durch eine vitale Anpassungsfähigkeit als Instrument der Überlebensfähigkeit geschlagen werden. Wir erkennen: Anpassungsfähigkeit ist biologisch relevanter als Spezialistentum.
Spielregeln hinterfragen und: abbauen
Vor einigen Jahren durfte ich als Vertriebsdirektor eine Landesvertriebsorganisation leiten. Es handelte sich um ein medizintechnisches Unternehmen mit einem Umsatz im knapp dreistelligen Millionenbereich. Der EBIT lag über 50 Prozent. Die Frustration vor Ort war jedoch erstaunlich hoch, da ein immenser Druck auf Mitarbeiter und Mittelmanagement ausgeübt wurde, in der Hoffnung Preise und Absatz hochhalten zu können. Die Menschen der Organisation fühlten sich beengt, gegängelt und „über-prozessualisiert“.
An einem Tag wurde mir Vieles schlagartig klar: Eine der Mitarbeiterinnen erklärte mir, dass sie wieder einen Antrag zu stellen hätte. Heraus kam, dass selbst bei Anschaffungen im Bereich von einem Euro ein entsprechender Antrag zu stellen und freizugeben sei. Die Anschaffung eines Kulis war in diesem Unternehmen zu einem bürokratischen Vorgang verkommen.
Entfesseln Sie Ihre Mitarbeiter – und sich selbst gleich mit
Also stellte ich die Frage, wieso wir denn diesen Bericht nicht einfach abschaffen könnten. Zu meiner Verwunderung wollten plötzlich alle an diesem Bericht festhalten. Ich insistierte und schaffte diese Spielregel einfach ab, nachdem niemand mir eine befriedigende Antwort auf die Frage nach ihrem Sinn geben konnte. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrfach an anderen Stellen.
Zunehmend entspannte sich die Organisation, wurde lockerer und vor allem – schneller! Ich musste weniger entscheiden, da meine Mitarbeiter selbst entscheidungsfreudiger wurden so wie die ganze Firma insgesamt beweglicher und schneller. Umsatz und EBIT stiegen deutlich.
Wir müssen also die Mitarbeiter beweglich halten, indem wir ihnen ständig stabilisierende Spielregeln entreißen und sie dadurch zwingen, kontinuierlich ihre Position und ihr Gleichgewicht neu auszuloten. Das bedeutet am Ende des Tages ein Bekenntnis zur Beweglichkeit als Überlebensgarant. Agil ist das neue Stabil.
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