Spökenkiekerei *), die sich Zukunftsforschung nennt
Der Begriff Zukunft klingt verheißungsvoll. Man darf hinter die Kulissen blicken und erfährt etwas, was andere noch nicht wissen. Jemand, der heute in den diversen Zukunftsbüchern der 1980er-Jahre nachliest, reibt sich verwundert die Augen und muss an Karl Valentin denken: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“
Die Zukunft lässt sich nicht in die Karten schauen. Wir können zwar vieles extrapolieren, aber die gesellschaftlichen Wirkungsverläufe ähneln einem Würfelspiel mit mehr als drei Würfeln. Der Weg von der Gegenwart in die Zukunft ist mit unvorhersehbaren Ereignissen gepflastert, die eine genaue Wegbeschreibung verhindern. Die „Selbstläufigkeit der Gesellschaft“ (Nikolas Luhmann) führt die sogenannte Zukunftsforschung zwangsläufig in die Sackgasse und verleitet sie dazu, im Kaffeesatz zu lesen.
Zu einer Wissenschaft gehört stets ein System von Erkenntnissen, das in Begriffen, Kategorien, Gesetzen, Theorien und Hypothesen gegossen wurde. Das aber fehlt bei der sogenannten Zukunftsforschung. Wenn sie das Attribut „Wissenschaft“ für sich in Anspruch nehmen will, muss sie diese Anforderungen einlösen:
- Sie muss empirisch sein und nicht auf Spekulationen beruhen. Das ist aber der Fall, wenn man Aussagen über etwas macht, was sich der Empirie entzieht. Situationen in dreißig oder fünfzig Jahren kann man nicht sinnlich wahrnehmen oder wie auch immer erfahrbar machen.
- Sie muss sich um theoretische Fundierungen bemühen, d.h. dass sie ihre Beobachtungen in logischen Sätzen zusammenfasst und kausale Beziehungen erklärt.
- Sie muss kumulativ sein, also auf andere Theorien aufbauen und diese diskutieren. Ihre Ergebnisse müssen für andere nachvollziehbar sein.
- Die Reichweite der Aussagen muss benannt sein.
- Ihre Prämissen und Grundbedingungen sind zu erklären.
- Die Informationsquellen müssen offen liegen.
Zukunftsforschung als Hypothesologie oder Spökenkiekerei?
Die hier genannten Kriterien wurden bisher nirgendwo erfüllt. Es bleibt also festzustellen, dass es keine Zukunftsforschung als solche gibt.
Es sind die Einzelwissenschaften, die über die Zukunft ihrer Disziplin nachdenken, allen voran die Sozialwissenschaften. Die wahren Zukunftsforscher sitzen in den Frauenhofer- und Helmholzinstituten.
Der Begriff Zukunftswissenschaft ist in Anbetracht tausender möglicher Zukunftsfelder ohnehin anmaßend. Man sollte etwas bescheidener von „Hypothesologie“ sprechen. Die norddeutsche Übersetzung lautet „Spökenkiekerei“. Wer den Begriff Zukunftsforschung benutzt, betreibt letztendlich aufgeblasene Wichtigtuerei.
Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man auf den Homepages der so genannten Zukunftsforscher Banalitäten in einen phrasologischen Wust verpackt werden. Mit einer akademisch gekünstelten Spezialsprache soll der Eindruck wissenschaftlicher Gelehrsamkeit erweckt werden.
Der Begriff Zukunftsforschung ist beliebig. Genau genommen gibt es keine Futurologie als solche. Zukunftsforschung ist keine klassische Wissenschaft wie Jura, Physik oder Medizin. Auch ein Lehrbuch der Futurologie sucht man vergeblich. Es gibt keinen Kernbestand gereiften futurologischen Wissens, also keine zusammengefassten Grundsätze der Zukunftsforschung, so wie man es von exakten Wissenschaften her kennt. Letztere sind in der Regel auch gut gegliedert. Man denke nur an die vielen Disziplinen der Medizin oder die diversen Unterabteilungen der Ökonomie. Wenn die so genannte Zukunftsforschung helfen will, unsere Welt zu verstehen, muss sie zunächst einiges tun, sich selbst zu verstehen, indem sie sich ordnet und gliedert.
Zukunftsforscher oder Unternehmensberater?
Wer oder was sind Trend- und Zukunftsforscher? Wie steht es um die Reichweite ihrer Prognosen? Welcher Wissenschaftler ist in der Lage, die Zukünfte aller gesellschaftlich relevanten Bereiche in Summe zu prognostizieren, wo doch nicht einmal mehr Fachwissenschaftler den Überblick über ihre Disziplin haben. Selbst wenn man das Thema Zukunft auf den Bereich soziokultureller Oberflächenerscheinungen beschränkt, bleiben diverse weiße Flecken auf der gesellschaftlichen Landkarte.
Bei genauerem Hinsehen erweisen sich viele der so genannten Zukunfts- und Trendforscher als Journalisten oder Unternehmensberater, die das Thema Zukunft attraktiv machen wollen. Sie erforschen selber keine Zukünfte, so wie es die Wissenschaftler der Max-Planck-Institute leisten, sondern tragen als Jäger und Sammler das zusammen, was der gesellschaftliche oder wissenschaftliche Informationsmarkt an Neuem anbietet oder sie generieren aus soziokulturellen Erscheinungen Zukunftsprojektionen, die sie als „Futurefrikasse“ lesewirksam aufbereiten.
Das Signet „Zukunftsforscher“ verleiht dem Journalisten oder Allerwelts-Unternehmensberater mehr Aufmerksamkeit bei potentiellen Auftraggebern. Mittlerweile wimmelt es nur so von selbst ernannten Zukunftspropheten.
*) Spökenkiekern wird die Fähigkeit nachgesagt, in die Zukunft blicken zu können.
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