Lean Management in chinesischen Unternehmen: Messbarkeit wichtiger als Veränderung
Rund 20 Prozent aller weltweit hergestellten Waren werden in China hergestellt. Die Unternehmen dort stehen jedoch unter zunehmenden Wettbewerbsdruck, der über die Pandemie und Folgen hinausgehen. Ist Lean Management ein Ansatz, mit dem sie Produktivitätseffekte erzielen? Dazu haben wir ausgewählte wissenschaftliche Quellen gesichtet.
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In jüngster Zeit macht China Schlagzeilen mit seiner Null-Covid-Politik. Heißt: Sobald ein Covid-Fall bestätigt ist, werden das betroffene Wohnhaus und sogar ganze Stadtteile abgeriegelt. Niemand darf rein oder raus. Dieser rigorose Aktionismus in der chinesischen Pandemie führte zu mancher Massenpanik in der Bevölkerung, etwa in Einkaufszentren. Die Menschen drängten zum Ausgang aus Furcht für Tage oder gar Wochen eingesperrt zu werden. Als Menschen beim Brand eines abgeriegelten Wohnhauses starben, riss offenbar der Geduldsfaden der Bevölkerung. Menschen protestierten auf eine Weise, die für die chinesische Gesellschaft ungewöhnlich ist, mit gewissem Erfolg. Die Regierung hat eingelenkt und nimmt vorsichtig Abstand von ihrer Null-Covid-Strategie.
Doch die Sorgen in einem Land, das als die Fabrik der Welt gilt, beschränken sich nicht auf die Pandemie und ihre Folgen auf Menschen und die Wirtschaft. Dass chinesische Technologie- Unternehmen nicht nur die günstigsten, sondern inzwischen auch die fortschrittlichsten Smartphones herstellen, ist bekannt. Im Hochtechnologie-Bereich, Batterie-Produktion und Solarenergie sind chinesische Unternehmen innovativ. Dies gilt für die Automobilindustrie ebenso. Zwar auf niedrigen Niveau drängen chinesische Autobauer im Segment der E-Mobilität in westliche Märkte.
Jedoch steuert die Wirtschaft seit einigen Jahren auf strukturelle und demografische Engpässe zu, die Arbeit und damit auch die Produktion teurer machen. Die sogenannten komparativen Kostenvorteile der chinesischen Wirtschaft schmelzen. Eine Entwicklung, die bereits von anderen asiatischen Wirtschaftssystemen wie Japan in den 1980ern oder Südkorea in den 1990ern bekannt ist. Damit geht ein wachsender Wettbewerbsdruck einher, die von chinesischen Unternehmen eine höhere Produktivität einfordert.
Chinesische Unternehmen nicht mehr profitabel
Das Land bleibt jedoch weiterhin bedeutend. Rund 20 Prozent (Stand 2022) der weltweit hergestellten Güter werden in China produziert. Dies macht die Volksrepublik nach wie vor zu einem bedeutenden Produktionsstandort in der globalen Wertschöpfungskette. Seine Unternehmen stehen aber unter Druck, profitabel zu arbeiten. Ist Lean Management die Lösung für mehr Profitabilität?
Lean Management ist in China seit 20 Jahren bekannt. Und trotz des bestehenden Wettbewerbsdrucks wird der Managementansatz hauptsächlich von ausländischen Unternehmen mit Sitz in China eingesetzt. Anders bei nativen chinesischen Unternehmen. Chinesische Manager messen oftmals ihren Erfolg an ihren bisherigen routinierten Arbeitsprozessen. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich kein Bedarf, die Wertschöpfungsketten - auch noch unter Beteiligung der Menschen in den Unternehmen - kontinuierlich zu verbessern.
Messbarkeit wichtiger als Veränderung
Eine „Veränderung zum Besseren“ erfordert dabei nicht nur, Tätigkeiten, Prozesse und Abläufe zu hinterfragen. Die Zusammenarbeit und eine stete Weiterentwicklung sämtlicher Beteiligten in allen Hierarchieebenen eines Unternehmens gehört wesentlich zum Lean Management. Jeffrey K. Liker verdeutlicht diesen Gedanken in einem Interview: „Executives, managers down to work groups – the improvement is happening within that existing structure they see.“ Denn ausschließlich mit gegenseitiger Wertschätzung des individuellen Know-Hows können gewisse Probleme in Handlungs- sowie Denkprozessen erkannt werden. Break down the complicated thing into pieces, erachtet der Professor als Vorraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung von Lean Management.
Im Vergleich zwischen chinesischen und westlichen Unternehmen, die Lean Management anwenden, gibt es eine Gemeinsamkeit: die kontinuierliche Optimierung der Wertschöpfungskette. Wichtigste Motivation dafür ist die Sicherung und Ausbau der globalen Wettbewerbsfähigkeit. Anders als im Westen werden in China vornehmlich Managern diese Aufgabe anvertraut. Dies ist auf das ausgeprägte hierarchische Denken in chinesischen Unternehmenskultur zurückzuführen.
Learning-by-doing statt Empowerment
Anders sind auch die Regeln und Ziele bei der Anwendung und Umsetzung der Lean-Prinzipien. Sie erfolgt nach dem allseits bekannten „Learning-by-Doing“. Dies hat hauptsächlich für die Vorgesetzten den Vorteil einer Zeitersparnis. Sie können die zeitaufwendige und theoretische Einführung in das Lean Management auslassen. Entsprechend wird durch die unmittelbare Anwendung von Lean Management erwartet, dass die Produktivität verbessert wird, so zumindest ihre Erwartung.
Zudem das Ziel: Eine schnelle Messbarkeit der Veränderung. Professor Ralph Lehmann bestätigt diese eingeschränkte Fokussierung chinesischer Unternehmen auf die Messbarkeit. In seinen Forschungsarbeiten ermittelte er im länderübergreifenden Vergleich, dass Lean Management in einer Variationsbreite umgesetzt wird. Dass chinesische Unternehmen Messbarkeit in den Mittelpunkt rücken, bestätigen Ralph Lehmann und die Autoren Nicolas Wenger, Matthias Weiss in einem Artikel für das KMU-Magazin.
In diesem Artikel wurden folgende Quellen verwendet:
- Richard Adu Agyapong, Yi Lu, Shinebayar Choidorj, Troy De La Harpe: „Popularity Evaluation of Lean Thinking in Southwest China”
- Renaud Anjoran (2017): „Why China Really Needs Lean Manufacturing Firms”
- Gunnar Knüpffer (2017): „Das ist bei Lean Management in Deutschland und China wichtig“.
- Nicoals Wenger, Matthias Weiss, Prof. Dr. Ralph Lehmann (2020): „Wie ein Schweizer KMU Lean Management in China einführt“.
- Lu Zhang (2015): Lean Production “with Chinese Characteristics”: A Case Study of China’s Automobile Industry. Aus dem Internat Journal of Sociology. PDF
Sie erreichen diese, indem für einen kurzen Zeitraum ein externer Experte eingestellt wird. Seine Aufgabe: eine schnellstmögliche Optimierung von Prozessen. Ist ein Erfolg erkennbar, wird der Experte entlassen. Das Problem: Eine kontinuierliche Verbesserung ist nicht gewährleistet, da die Beschäftigten schnell in ihre alten Routinen und Arbeitsweisen zurückfallen. Zudem konzentrieren sich die Mitarbeitenden auf ihre individuellen Aufgaben. Der Nachteil daran ist, dass keine Eigeninitiative und keinerlei Ideen zur Verbesserung der Arbeitsstruktur bestehen. Also sind die Beschäftigten in ihrer Arbeitsausübung festgefahren.
Kritisches Denken wichtig für Lean
Die Reaktion der Angestellten darauf sind: Widerstände bezüglich der Umsetzung von Veränderungen. Ausgelöst werden sie aufgrund einer mangelnden transparenten Planung und der fehlenden Einbeziehung von Meinungen sowie Bedenken. Genau diese transparente Planung spiegelt etwa die Arbeitsweise eines Vorgesetzten wider. Eine von ihm beschlossene Maßnahme wird den Beschäftigten aufgetragen, sie sollen sie ohne Hinterfragung ausführen und sind letztlich unzufrieden, da ihnen kein Grund für die nötige Veränderung genannt wird. Die auszuführende Aufgabe wird auf diese Weise sinnentleert.
Die Auswertung bestehender Forschungsarbeiten zur Anwendung von Lean Management in chinesischen Unternehmen zeigt, obgleich China und Japan sich geografisch nahe beieinander liegen, die Praxis von Lean sich stark unterscheiden kann. Damit wird deutlich, wie wichtig Kultur ist - aber auch die Haltung zur Arbeit und die Bereitschaft, Beschäftigte an der kontinuierlichen Verbesserung teilhaben zu haben. Damit verbunden zeigen die bisherigen Erfahrungen, wie fundamental kritisches Denken ist, damit die Lean-Prinzipien in einem Unternehmen greifen können. Die explizite Betrachtung von Lean in chinesischen Unternehmen für das eigene Selbstverständnis von westlichen Unternehmen lohnenswert. Dies ist wohl eine der zentralen Erkenntnisse dieses Artikels.
*) Mit der Erstellung dieses Textes wurde von uns das futureorg institut beauftragt.
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