Laberrhabarber

Laberrhabarber

Über die weltweit führende Buchstabensuppe der Unternehmenskommunikation

#leanmagazin
08. September 2016 um 10:58 Uhr in LeanMagazin von Gunnar Sohn


Unternehmen sind immer noch organisiert wie mittelalterliche Trutzburgen:
Wann die Zugbrücke heruntergelassen und welche Informationen über den Wassergraben ins Land hinaus durften, entscheiden nur wenige Meinungsführer.
Von Zeit zu Zeit zeigt sich der Vorstandsvorsitzende am Burgfenster und die Medienöffentlichkeit sieht ihm aus der Ferne zu, wie er – meist während der Bilanzpressekonferenz – vorgefertigte Worthülsen vorträgt.
Dieser diskursive Austausch von Klingeltönen war schon immer eher dem Imponiergehabe von Vorstandsbossen geschuldet und dient weniger oder gar nicht dem Dialog mit der Öffentlichkeit.

Der gut aufgestellte und fokussierte Metzgermeister

Die digitale Öffentlichkeit kennt keine Leser, Hörer oder Zuschauer, die von ihr zu unterscheiden wären. Meinungsbildung findet über Tausende von Netzwerken statt, in Foren und Blogs, Wikis und Videos. Kunden, Leser und Journalisten spüren heute direkter und schneller, ob der Vertreter eines Unternehmens offen und direkt mit ihnen spricht oder ob er sich hinter einer Ansammlung von Kunstwörtern versteckt. Was etwa zeichnet ein „gut aufgestelltes und weltweit führendes Unternehmen“ aus, das die Öffentlichkeit mit sinnlosen Worthülsen bombardiert? Warum soll ein „fokussierter“ Anbieter besser sein als ein Konkurrent, der ohne diese Phrase auskommt?
Jeder Metzgermeister könnte von sich behaupten, ein „gut aufgestellter, fokussierter“ Anbieter von innovativen Fleischwaren zu sein. Er wird es aber nicht tun, weil die Kunden kopfschüttelnd aus dem Laden rennen würden. Dort aber, wo sich Unternehmen räumlich und emotional von ihren Kunden entfernen, veröffentlichen sie Botschaften voller nichtssagender Formulierungen.

Das klingt dann etwa so:

„Wir realisieren nachhaltige Projekte, implementieren Prozesse und heben eine Vielzahl von Synergien. Unsere Tools basieren auf einem Netzwerk von Applikationen. Wir bündeln unsere Kernkompetenzen und generieren neue Umsatzpotenziale. Unser Portfolio besteht aus internationalen Aktivitäten. Wir arbeiten absolut kapitalmarktorientiert. Auf diese Weise erzielen wir eine hohe Profitabilität“ – und verprellen die Öffentlichkeit mit langweiligen Plattitüden.

Aufmerksamkeitslogik statt Hochglanzbroschüren

Unternehmen sollten sich in der Kundenkommunikation wie Verleger oder Herausgeber verhalten: Online-Geschichten über die eigenen Produkte, die genau auf die Entscheider für den direkten und indirekten Vertrieb zugeschnitten sind. Was funktioniert, ist die Konzentration auf die Kunden und deren Probleme; was scheitert, ist die egozentrische Zurschaustellung der Produkte und Dienstleistungen. Wer die Möglichkeiten des Social Web anwendet, konzentriert sich nicht auf die falschen Ziele wie etwa Sammlungen von Zeitungsausschnitten, Reichweiten-Mumpitz, Klickraten-Angeberei oder die Produktion von Hochglanzbroschüren. Man sollte sich stattdessen an der neuen Aufmerksamkeitslogik orientieren, die unseren digitalen Alltag immer mehr bestimmt. Nachzulesen im Opus von Mercedes Bunz: „Die stille Revolution“ (erschienen in der edition unseld). Klassische Medien berichten über Neuigkeiten, die sich auf das Ereignis ausrichten. Was nicht in diese Kategorie passt, wird nicht aufgegriffen. Die digitale Öffentlichkeit ist vor allem von den Interessen der Nutzer getrieben: „Noch lange nachdem die Karawane der professionellen Journalisten weitergezogen ist, spüren Social-Web-Nutzer den Themen nach, die sie bewegen“, zitiert Bunz den „Guardian“- Chefredakteur Alan Rusbridger. Nachrichten könnten, wie guter Wein, durch Lagerung an Wert gewinnen.

Laberrituale nerven

Da darf natürlich auch der viel zitierte Satz einer Studentin nicht fehlen: „Wenn eine Nachricht wichtig für mich ist, wird sie mich schon finden.“

Und wann sie für mich wichtig ist, entscheide ich selbst und nicht die „Tagesschau“, irgendein Pressesprecher oder Marketingfuzzi. Es entsteht also eine virale Logik, die eine ganz eigene Dynamik entfaltet. „Dieser viralen Kommunikation liegt letztlich die Möglichkeit zugrunde, Inhalte immer wieder zu reproduzieren. Nur etwas, das neu arrangiert und wiederverwendet, also wiederholt oder nachgeahmt werden kann, besitzt das Potenzial, viral zu werden“, führt Bunz aus.

Um diese Aufmerksamkeitslogik zu nutzen, sollten Unternehmen endlich aufhören, ständig in der gleichen Buchstabensuppe zu schwimmen und die Öffentlichkeit mit ihren Laber-Ritualen zu nerven.



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