Das Lied der Straße ♫ ... Folge 134
oder ... "Nulla vita sine camena."
Es kommt manchmal vor, dass Fortunata und Elvira mit Dr. Nemo dorthin fahren, wo sie sich vor Jahrzehnten kennengelernt haben. Das war auf den Straßen von Neapel ...
Fortunata portraitierte dort für ein paar Lire Touristen und Elvira verkaufte auf Holzständern, die beim Nahen der Carabinieri umgedreht zu kleinen Bänken wurden, geschmuggelte Zigaretten.
Doch das ist nicht der einzige Grund dorthin zu fahren. Der Bruder Fortunatas, Amoroso, lebt noch immer dort.
Er ist Geiger und Fortunata hat ihm ein Studium am Konservatorium ermöglicht. Weitere Unterstützung seitens seiner reichen Schwester lehnte er ab.
Nun, noch immer spielt er seine Violine auf der Strasse, in einem Winkel des Platzes vor der Chiesa del Gesù Nuovo, deren geheimnisvolle Fassade mit Symbolen geschmückt ist, ein Pentagramm, das sich in Musiknoten für eine sakrale Komposition übersetzen lässt.
Nemo tritt auf Amoroso, der gerade seinen Bogen mit Kolophonium pflegt, zu.
Nemo: „Hast Du mit Deinem Talent nicht Lust, in einem großen Orchester zu spielen? Könntest Du Dich dafür motivieren?“
Gedacht hat Nemo das schon öfter, heute sprach er es aus.
Amoroso lächelt: „Für die wichtigen Dinge im Leben muss ich nicht motiviert werden, nur für die unwichtigen. Mit einem Wort, ich bleibe hier.“
Nemo: „So eine Anstellung wäre doch gut für Dich, sie bringt Ordnung und Sicherheit in Dein Leben.“
Amoroso ist ein Mittsechsiger, er hat ein fein geschnittenes hageres Gesicht und seine weißen Haare leuchten in der Sonne. Seine schmalen Hände sind braun gebrannt und seine Erscheinung ist gepflegt schlicht. Er ist wohl einer von denen, die sagen würden: „Ich bin nicht arm, nur manchmal habe ich kein Geld.“
Amoroso: „Ordnung, lieber Nemo ist eine Illusion, sie hat nur kurzfristig Bestand.“
Elvira: „Mmmh …!“ Ein Ausdruck, den der Interviewer erfunden hat, aber als seine Geliebte darf sie dies vielsagende Wort auch benutzen.
Dann beginnt Amoroso zu spielen, das Adagio von Albinoni.
Eine amerikanische Touristin flüstert: „I love this piece. It is one of the saddest I've ever heard, but not in a depressing way ... it's more like a beautiful sadness.“
Nemo entwickelt inzwischen so etwas wie Vatergefühle für diesen bezaubernden Mann. Nun sind Vatergefühle oft davon geprägt, dass sie letztlich das fortschreiben wollen, was er selbst für gut hält.
Nemo: „Amoroso, Du lebst frei, doch ohne Regeln funktioniert das Leben nicht.“
Amoroso wischt den weißen Staub des Kolophoniums vom Revers seiner dunkelblauen Jacke, blinzelt seiner Schwester Elvira zu und sagt:
„Die Regeln des Lebens sind wie eine Schrift im Sand und irgendwann ist daraus Beton geworden …“
Bevor man wieder geht, flüstert Elvira ihrem Bruder eine Frage ins Ohr: „Kannst Du wenigstens mir erklären, warum Du so lebst?“
Amoroso nimmt sie in den Arm und sagt: „An dem Tag, an dem alles in der Welt erklärt ist, stirbt die Poesie.“
Der Learjet bringt die Gesellschaft wieder nach Los Straneros.
Was die Begegnung mit Amoroso mit Dr. Nemo macht, insbesondere die Bemerkung mit den Regeln, aus denen Beton wird, das erfahren wir wie immer nächsten Dienstag ...
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