4. Episode
Ein klärendes Gewitter, oder ...?
Der alte Krauss ist immer noch fassungslos über das Ergebnis des Bankgesprächs.
Wie soll's denn nun mit seiner Firma weitergehen?
Sollte er erneut seine ganze Kraft in sein Unternehmen hineinstecken? Oder musste er es nicht sogar, um seinen Lebensabend genießen zu können?
Auf der Rückfahrt erinnert er sich, gerade an seine nie ausgeräumten Zweifel:
Wie sehr hatte er sich gewünscht, dass auch Bernd ein Ingenieur geworden wäre und nicht Betriebswirtschaft studiert hätte. Für die Unternehmensnachfolge wäre das doch viel besser gewesen. Sein Junior wäre auch ganz sicher mit einem Franz Großmann zurecht gekommen. Redet man doch auf gleicher Augenhöhe miteinander, so von Ingenieur zu Ingenieur. Versteht sich sozusagen blind. So wie es eben zwischen ihm und Großmann über Jahrzehnte hinweg lief. Denn selbst wenn man sich die Köpfe heiß geredet hatte, war doch letztendlich beinahe immer etwas Gutes dabei herausgekommen: Er und Franz, ein Topf und sein Deckel.
Und nicht nur in der Führungsriege: Auch die Mitarbeiter in der Produktion hätten seinen Sohn dann viel schneller angenommen, da er ja einer von ihnen wäre, auch wenn man als Chef viel zusätzliche Verantwortung mit sich herumträgt. Dennoch verstünde er dann aber etwas von dem, was die Mitarbeiter tagtäglich machen. Aber Bernd kommt aus seinem Büro ja praktisch gar nicht raus. Wann hatte er ihn jemals in der Produktion gesehen? Ist es ihm in der Produktion zu schmutzig? Oder versteht Bernd das Durcheinander dort nicht? Oder schlimmer noch: Will er es möglicherweise gar nicht verstehen? Und hat er vielleicht „Angst", sich in der Fertigung blicken zu lassen? Mit den Mitarbeitern zu reden??
In Ernst Krauss reift die Erkenntnis, dass er die Geschäftsführung nicht vor fünf Jahren schon an Bernd hätte abgeben dürfen. Doch sein damaliger Gesundheitszustand hatte ihm keine andere Wahl gelassen.
Wie anders ist doch da sein Schwiegersohn Frank Weissenegger. In letzter Zeit denkt der Alte gerade in solchen Momenten immer häufiger an ihn. Ist dieser doch auch Ingenieur mit einer beachtlichen Karriere - selbst in internationalen Unternehmen verbunden mit mehrjährigen Auslandsaufenthalten.
Zurück in seinem Büro beauftragt Krauss Senior Bernds Sekretärin, sofort eine Krisensitzung mit seinem Sohn Bernd und den vier Abteilungsleitern einzuberufen.
Jetzt muss ganz schnell eine Lösung gefunden werden. Kurz darauf finden sich die fünf überrascht im Besprechungszimmer wieder: Sie alle gemeinsam, das gab's schon lange nicht mehr. Doch was will der alte Krauss, worum geht es eigentlich?
Ernst Krauss hat noch nicht einmal am Tisch Platz genommen, da bricht schon ein echtes Donnerwetter über alle herein.
Der erste Blitz erwischt seinen Sohn Bernd: Wie es sein kann, dass dieser als Verantwortlicher für die Unternehmensfinanzen keinen blassen Schimmer vom Rating der Banken hat? Dass es doch diese neumodischen Dinge seien, die er wohl im Studium gelernt habe - oder etwa nicht? So was müsste man kennen. Dafür ist man Fachmann. Er, der Ingenieur Ernst Krauss, sieht ja schließlich auch, wenn eine Pumpe fehlerhaft montiert wurde oder angelieferte Laufräder beschädigt sind. Und im Übrigen habe er zusätzlich seine Finanzabteilung auch nicht im Griff, wie er neulich schon sehen musste, als Bernd die Zahlen für die Rentabilitätsrechnung liefern sollte. Schweigend lässt Bernd dies alles über sich ergehen.
Der zweite Blitz trifft Franz Großmann: Er habe den Eindruck, dass sich Großmann die monatlichen Zahlen aus der Finanzabteilung nicht ansieht. Denn hätte er dies getan, so hätte er die steigenden Produktionskosten erkennen und etwas dagegen tun müssen!
Großmann wird hellhörig: Die Zahlen aus der Finanzabteilung? Die versteht er nicht und die in der Finanzabteilung selbst wohl auch nicht. Und er muss diese auch gar nicht verstehen, denn schließlich hat er eine langjährige Produktionserfahrung und weiß sehr wohl, was für die Krauss GmbH & Co. KG gut ist. Er jedenfalls hat seine Produktion im Griff. Auf seine Leute ist Verlass. Und wenn die Produktionskosten steigen, soll doch der Einkauf gefälligst billiger einkaufen, dann werden die höheren Produktionskosten ja kompensiert.
Bevor Ernst Krauss es erneut blitzen lassen kann, fährt der Einkaufsleiter, Peter Baumgartner, hoch: Was sich Großmann denn einbilde? Wenn in der Produktion nicht ordentlich gearbeitet wird, soll dann der Einkauf die Kastanien aus dem Feuer holen? Immer will die Produktion Recht haben und alle müssen nach ihrer Pfeife tanzen! Wutschnaubend verlässt Baumgartner den Besprechungsraum.
Postwendend bekommt Bernd von seinem Vater die Quittung: Der Einkauf gehöre doch ebenfalls in seine Verantwortung. Wieso lässt er seinen Einkaufsleiter jetzt einfach gehen und holt ihn nicht zurück?
Äußerlich gelassen, aber innerlich schmunzelnd lehnt sich Großmann, die Arme verschränkt, in seinem Stuhl zurück. Sollen die sich doch ruhig streiten. Am Ende werden wir schon sehen, wer hier den Laden im Griff hat.
Ernst Krauss jedoch versteht die Welt nicht mehr. Die Besprechung, ergebnislos zu Ende.
Hatte er zu harte Worte gefunden und damit selbst Franz nicht mehr erreicht?
Gerade weil doch offenkundig ist, dass Franz auch für einen Teil dieser Misere verantwortlich ist. Und er diesem das so nicht durchgehen lassen kann…
Was sollte denn bloß aus seiner Firma werden? Aus Bernd? Werden sie doch in Kürze mit einem großen Fest den 40. Geburtstag seines Sohnes feiern.
Feiern… Ernst Krauss schließt kurz die Augen. Er weiß gar nicht mehr, ob und wie er sich darauf noch freuen kann…
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