Dr. Nemo, der Clown und der blinde Fleck - Folge 39
Wer hätte das gedacht? Ein Clown im Vorstandsbüro von WMIA Incorporated. Und was für einer. Jedenfalls hinterlässt er offene Fragen, was ihn vom klassischen Berater unterscheidet, der ja immer „Butter bei die Fische“ legen muss, wie man in Hamburg sagt, das heißt, er wird für konkrete Lösungen bezahlt …
Nemo ist heute gut gelaunt und kommt dem Interviewer schon im Vorzimmer entgegen.
Er trägt die dunkelschwarzen Stiefel, die ihm sein Vater hinterließ, feinstes amerikanisches Pferdeleder.
Nemos Büro ist hell erleuchtet.
Fünf Pinnwände werden von Scheinwerfern angestrahlt. In bunter Schönschrift stehen dort auf kleinen Wolken, auf Streifen und auf sonstigen Erzeugnissen der Präsentationsindustrie die Forschungsergebnisse von Professor Dr. Salsiccia, wir kennen ihn ja bereits. Er hat Dr. Nemos Vater schon beraten. Das ist der mit dem Blindenhund und sein Name hat im Italienischen die Bedeutung „Bratwurst“, aber da kann er ja nichts zu …
Die Erwähnung dieses Namens lässt jedenfalls dem Interviewer immer das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Die Neuausrichtung von WMIA Incorporated ist immer noch das Thema im Vorstand. Bekanntlich arbeitet man ja an solchen Fragen solange, bis einen die Zeit überholt. WMIA ist da keine Ausnahme und der Themen gibt es viele.
Nemo: „Auf der Grundlage unserer Forschung haben wir die Bedürfnisse der Menschen der Zukunft und neue Arbeitsprofile entwickeln lassen.“
Interviewer: „Warum tun sie das? Läuft doch alles rund bei WMIA Incorporated.“
Nemo: „Der kluge Mann baut vor.“
Interviewer: „Mmmh …“
Nemo: „Wir und unsere Top-Experten sehen sehr klar.“
Interviewer: „Sie sehen also alles?“
Nemo bleibt natürlich nicht verborgen, dass diese einfache Frage des Interviewers eine Anspielung auf die letzte Begegnung mit dem Clown ist. Der blinde Fleck ist noch eine offene Frage.
Nemo: „Natürlich sehen wir nicht alles, aber wir sind auf dem neuesten Stand.“
Interviewer denkt: Riesen im Wissen, Zwerge im Begreifen …
Und wäre der Clown schon dagewesen hätte er wohl sein „Ach wirklich, ist das so?“ dazu gegeben.
Elvira sitzt wie immer auf der Fensterbank und wer so eine Assistentin hat, braucht dort keine Blumen mehr. Elvira war merkwürdig schweigsam in den letzten Interviews. Das entspricht eigentlich nicht dem, was man so von Frauen erlebt.
Schweigen muss ja nicht unbedingt Stillsein bedeuten. Irgendetwas ist da im Busch sozusagen backstage, denkt der Interviewer.
Der Clown erscheint.
Er wirkt nervös. Gleich nach dem Betreten des Büros bückt er sich und krabbelt auf allen Vieren auf dem Boden herum.
Nemo: „Können wir Ihnen helfen?“
Clown: „Ja, gerne!“
Nemo: „Was sollen wir tun?“
Clown: „Ich suche meine Autoschlüssel!“
Nemo, Elvira, der Clown, der Interviewer und auch Professor Dr. Salsiccia krabbeln auf dem Boden. Elvira hat sogar ihre lila Ray-Ban-Brille aufgesetzt, hinreißend sieht sie aus und auch sonst ist eigentlich selten die Gelegenheit einer schönen Frau und natürlich würdigen Männern auf allen Vieren zu begegnen. Aber die Herrschaften konzentrieren sich auf die Suche nach dem Autoschlüssel des Clowns.
Minuten vergehen. Irgendwo schmort ein Scheinwerfer.
Nemo ungeduldig: „Wo haben Sie ihn denn verloren?“
Clown: „In einer dunklen Bar vorhin“. Dabei errötete er leicht.
Nemo: „Und warum suchen wir hier?“
Clown: „Weil es hier heller ist!“
Würde diese Szene in einem südlich-mediterranen Parlament stattgefunden haben, wäre ein Tumult die Folge dieser Antwort und der Clown hätte eine Tracht Prügel bezogen.
Wir sind jedoch in Los Straneros, im Verwaltungsgebäude des größten Unternehmens der Welt, Vorstandsbüro. Da tut man sowas nicht. Selbst eine Geste wie die des sich an Kopf Fassens, was eine intuitive Reaktion wäre, ist hier verpönt.
Dr. Nemo muss zum nächsten Termin. Typisch für Männer in diesen Positionen.
Elvira hat wie immer die Zeit, den Interviewer zum Fahrstuhl zu begleiten.
Interviewer: „Das mit dem blinden Fleck hat der Clown ja immer noch nicht erklärt!“
Elvira: „Doch!“
Interviewer: „Und wie bitte schön? Nemo hat nichts davon, vom blinden Fleck gesehen und ich auch nicht!“
Elvira: „Ein Philosoph hat einmal gesagt: Der Blindheit nutzt auch nicht das helle Licht.“
Der Interviewer stutzt.
Was weiß Elvira über Dr. Nemo. Warum ist sie so ruhig?
Nun, da werden wir mal am nächsten Dienstag nachhaken …
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