Die Rolle des Dr. h.c. Any Nemo - Folge 30
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein so wertvolles Gut, dass sie wie früher das edle Bratenstück nur selten auf den Tisch kommt oder wenn der Anlass, die Situation aus Gründen bestimmter Umstände es unausweichlich macht. Die Wahrheit ist teuer und daher ist sie rar. Die überraschende Aussage des CEO Dr. Nemo, er hätte keinen Nachfolger, fällt wohl in dieses Verhaltensmuster. Aber, wir werden sehen.
Würde man den CEO des größten Unternehmens der Welt, Herrn Dr. Nemo in eine Zeitmaschine setzen, die ihn als kleinen Jungen zeigt, so könnte man die klassische Situation finden, in der mit dem Fußball der Jungs eine Fensterscheibe zerdeppert war. Auch ohne viel Phantasie kann man erraten, dass Nemo, der den Ball schoss, natürlich seine Unschuld beteuert oder die Wahrheit nur scheibchenweise enthüllt. Solch altersresistente Verhaltensweisen sind bei ihm auch heute noch wahrzunehmen.
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein so wertvolles Gut, dass sie wie früher das edle Bratenstück nur selten auf den Tisch kommt oder wenn der Anlass, die Situation aus Gründen bestimmter Umstände es unausweichlich macht. Die Wahrheit ist teuer und daher ist sie rar.
Die überraschende Aussage des CEO, er hätte keinen Nachfolger, fällt wohl in dieses Verhaltensmuster. Aber, wir werden sehen. Die Frage des Nachfolgers ist vielleicht nicht an eine Person gebunden, irgendetwas anderes findet da statt. Man kennt das ja.
Soviel vorab.
Elvira empfängt den Interviewer wie immer im Vorzimmer des Vorstands. Das Wort „Vorstand“ schreibt sich ja mit „o“, wohl zu Recht, denn der Buchstabe „e“ wäre wohl selten zutreffend.
Elvira trägt ein blau schimmerndes Kleid und als die Augen des Interviewers aus ihrem Dekolleté gleiten, – ein bisschen Lust darf ja sein -, entdeckt er eine Art Antenne an der diamantenen Spange in ihrem pechschwarzen langen Haar.
Interviewer: „Ist das eine Antenne an ihrer Haarspange?“
Elvira: „Ja, WiFi, habe vergessen, sie zu verstecken. Wir sind hier alle miteinander verbunden.“
Dr. Nemo steht an seinem Schreibtisch.
Nemo: „Willkommen in der Wirklichkeit!“
„Was soll das nun wieder“, denkt der Interviewer.
Nemo: „Schauen Sie mal!“
Dies Schauen war wörtlich gemeint.
Nemo reicht dem Interviewer eine Brille, so eine wie es bei Computerspielen gibt.
Der Interviewer setzt sie auf.
Interviewer, der in Richtung Elvira schaut, alle Männer werden das verstehen: „Ich sehe Cleopatra… sie reicht mir die Hand… Wahnsinn…“
Nemo: „Schauen Sie mal genau hin. Was sehen Sie jetzt?“
Interviewer: „Ich sehe Elvira als Cleopatra und mich und im Hintergrund eine Leuchtschrift mit dem Schriftzug „WMIA Incorporated – wir sind für Sie da…“
Nemo: „Ok, es funktioniert.“
Interviewer: „Was funktioniert?“
Nemo: „WMIA Incorporated kreiert Wirklichkeiten.“
Interviewer: „Welche Wirklichkeiten? Das ist doch nur die Brille, die mir was vorgaukelt…“
Nemo: „Durch die Brille schauen unsere Kunden eigentlich schon längst. Jetzt haben wir sie tatsächlich, sie werden immer mehr Menschen sehen, die unsere Brille tragen und in unserer Wirklichkeit leben. Wir verknüpfen tatsächliches Geschehen mit einer anderen Interpretation. Wir legen auf die Realität einen anderen Film. Elvira ist real, Cleopatra ist die von WMIA Incorporated gesteuerte Phantasie.“
Nebenbei bemerkt sieht der Interviewer keine Notwendigkeit, aus Elvira eine Cleopatra zu machen. Aber gut.
Interviewer: „Wer denkt sich so etwas aus?“
Nemo flüstert Elvira etwas ins Ohr.
Interviewer: „Eigentlich hätte ich gern das Thema behandelt, welche Rolle Sie hier haben und was ist mit dem Nachfolger?“
Nemo: „Das wird Ihnen Elvira gleich erzählen.“
Elvira begleitet den Interviewer. Es gibt ja Frauen, die allein schon vom Anschauen ein Versprechen sind, ein Versprechen auf Glückseligkeit, das geradewegs Hand in Hand durch ein Lavendelfeld in der Provence führt. In der Realität ist dies der Weg zum Fahrstuhl, der Interviewer hatte die WMIA-Brille nochmal aufgesetzt.
„Warum beantwortet Dr. Nemo die Frage nach seiner Rolle nicht selbst?“, fragt der Interviewer.
Elvira: „Die Großen dieser Welt geben keine Statements, sie haben Sprecher. Dann können sie dementieren, wenn es nicht passt oder bestätigen. In diesem Falle bin ich also seine Sprecherin.“
Interviewer: „Was hat Nemo Ihnen ins Ohr geflüstert?“
Elvira: „Er hat die Information über seinen Nachfolger freigegeben.“
Interviewer: „Da bin ich ja gespannt.“
„Neulich sagt er, er hätte keinen Nachfolger und heute kommt er wohl raus mit der Sprache, aber das kennt man ja…“, denkt der Interviewer.
Elvira: „WMIA Incorporated teilt sich gerade. Dr. Nemo hat eine weitere nie erwähnte Tochter, sie heißt Laetitia, die Freude. Sie steht dem alten Unternehmen demnächst vor.“
Interviewer: „Und Dr. Nemo?“
Elvira: „Nemo kümmert sich um die Zukunft.“
Interviewer: „Welche Zukunft?“
Elvira: „Die Zukunft ist die Entwicklung neuer Wirklichkeiten.
Sie dringen in unser Unternehmen, in die ganze Welt, sie sind derzeit ohne Kontrolle.“
Interviewer: „Und was ist dann die Rolle des Dr. Nemo?“
Elvira: „Er wird die Zukunft unserer Welt gestalten, er wird Einfluss nehmen.“
Interviewer: „Na, dann man zu!“
Elvira: „Wir sind groß genug, auch das zu bewältigen. Sie kennen ja den Satz „Too big to fail“. Allerdings gibt es ein Problem mit der Neuen Welt.“
Interviewer: „Welches?“
Elvira antwortet wie immer.
„Junger Mann,“ sagte Elvira und selbst, wenn das auf einen Endfuffziger nicht mehr ganz zutrifft, ist diese Anrede schmeichelhaft, „darüber reden wir nächsten Dienstag!“
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