Business Systemics – Unternehmensführung trifft Systemtheorie und Kybernetik
Unternehmensführung ist in meinen Augen immer noch zu sehr von einer mechanistischen Denk- und Handlungsweise geprägt. Was bedeutet das?
Die Zukunft wird als vorhersag- und berechenbar angenommen. Es werden Ziele definiert und es wird davon ausgegangen, dass es möglich ist, ex ante einen genauen Weg zu definieren, der zu diesen Zielen führt. Es werden Kennzahlen definiert, von denen man ausgeht, dass diese sehr genau die Situation rund um das Unternehmen beschreiben können. Ziel im Kontext von Entscheidungen ist es, Unsicherheit zu absorbieren.
Um es in den Worten des Kybernetikers Heinz von Förster zu sagen. Wir steuern und regeln Unternehmen, als wären sie „triviale Maschinen“, als würde es nur darum gehen, komplizierte Probleme zu lösen und zu managen, in dem man Signale des Marktes in interne Signale, wie Methoden, Standards und Prozesse transformiert und entlang dieser dann handelt. Denken sollte man nicht mehr so häufig, da ja alles in Form der internen Signale vorgedacht ist.
Will man ein Unternehmen leiten, muss man sich in erster Instanz klar und deutlich vor Augen führen, wie ein Unternehmen entsteht und wie es am „Leben“ erhalten wird. Ich ziehe bereits an dieser Stelle mit dem Benutzen des Wortes „Leben“ den Vergleich zur Natur, da ich denke, dass sich viele Erkenntnisse aus der Evolutionsgeschichte des Menschen und der Natur ziehen lassen, die sich auf das Führen von Unternehmen anwenden lassen. Unternehmen sind eben keine trivialen Maschinen. Sie sind nichttrivial, wo sich externe Signale nicht einfach in interne überführen lassen.
Dieser Beitrag ist der Start einer Beitragsserie zum Thema Unternehmensführung. Ich skizziere hierbei einen Weg, den wir so teilweise bei der OTTO GmbH & Co.KG im Rahmen des Kulturwandels definiert und ausprobiert haben und noch ausprobieren werden. Ich werde im Rahmen dieser Serie auf Erkenntnisse zurückgreifen, die ich hauptsächlich aus den Disziplinen Systemtheorie und Kybernetik gewonnen habe. Ich werde Denkmodelle dieser beiden Disziplinen miteinander verknüpfen.
Unternehmensführung teile ich sehr grob in drei Schritte ein, wissend, dass diese Einteilung nicht ansatzweise der Komplexität gerecht wird, die man in diesem Kontext zu handhaben hat. Im Rahmen dieser drei Schritte geht es auf einer Makroebene um zwei Regelkreise zwischen einem Unternehmen und dem Markt, um die Lebensfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Schematisch sind die beiden Regelkreise unten dargestellt. Nachfolgend werden die drei Schritte kurz erläutert.
Schritt 1: Definition des Unique Selling
Points (USPs) des Unternehmens
Zwei Denkmodelle, Value Proposition Canvas (VPC) und Business Model Canvas (BMC), kommen hier unter anderem zum Einsatz. Ergebnis dieses ersten Schrittes ist es, Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens zu definieren, die Bedürfnisse des Marktes decken. In diesem Schritt werden aus Unternehmenssicht unter anderem die folgenden Fragen thematisiert.
- Wer sind unsere Kunden?
- Welche Bedarfe und Wünsche haben unsere Kunden?
- Was wird für die Kunden besser, wenn diese Bedarfe gedeckt sind?
- Mit welchen eigenen Leistungen decken wir diese Bedarfe?
- Warum können wir diese Bedarfe besser decken als andere Unternehmen?
- Wie würden die Kunden reagieren, wären wir morgen nicht mehr da?
Im Rahmen dieser Aktivitäten wird dem Unternehmen eine eigenständige Identität verpasst, und damit Sinn und Zweck seines Daseins.
Schritt 2: Operationalisierung des USPs des Unternehmens
Strukturen konditionieren Menschen in ihrem Denken und Handeln. Also wird in diesem Schritt darauf fokussiert, wie Menschen in einem Unternehmen bestmöglich miteinander denken und handeln sollten, um effektiv und effizient Wertangebote für den Markt zu generieren und zu liefern. Auch in diesem Schritt kommen wieder zwei Denkmodelle zum Einsatz, die leider allzu oft vergessen werden und zu wenig in diesem Kontext zum Einsatz kommen, das Viable System Model (VSM) von Stafford Beer und Theory of Constraints (ToC) von Eliyahu Goldratt.
Schritt 3: Regelmäßige Überprüfung des USPs des Unternehmens
Viele Unternehmen setzen finanzielle Kennzahlen zum Steuern ein. Diese Kennzahlen sind aber Ergebniskennzahlen und keine Steuerungskennzahlen. An einem Analogon zum Autofahren möchte ich diesen Fakt kurz erläutern. Stellen Sie sich vor, Sie würden beim Autofahren erst dann nach links lenken, wenn sie rechts irgendwo gegengefahren sind. Analog geschieht das „nach rechts lenken“. In diesem Sinne werden heute Unternehmen gesteuert, weil nämlich ausschließlich finanzielle Kennzahlen zum Einsatz kommen, die nur einen Blick in den Rückspiegel erlauben. Unternehmen benötigen weitere Kennzahlen zur Steuerung. Welche das sein könnten wird in diesem Schritt beleuchtet.
Ziel dieses Schrittes ist die regelmäßige Überprüfung der Identität des Unternehmens. Je nach Ergebnis landet man bei Schritt 2, in dem bestehende Geschäftsmodelle optimiert werden und damit an internen Strukturen gearbeitet wird, oder man landet eben bei Schritt 1, da eine neue Identität und damit auch ein neues Geschäftsmodell definiert werden muss, um die Lebensfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen.
Der Value Proposition Canvas (VPC)
Starten möchte ich nun mit dem Schritt 1, diesen aber nicht ganz zu Ende deklinieren, da dies im kommenden Beitrag zu dieser Serie geschieht. Es geht um das Value Proposition Canvas (VPC).
Der Value Proposition Canvas ist bei der Erarbeitung des USPs eines Unternehmens die Vorstufe zum Business Model Canvas (BMC), welchen wir in den kommenden Beiträgen reflektieren werden. Der VPC besteht aus den beiden Komponenten „Kundensegmente“ und „Wertangebote“. Ziel des VPC ist es, Produkte und Dienstleistungen anhand der zu bewältigenden Aufgaben mit Kundenbedürfnissen und -wünschen in Einklang zu bringen. Ziel dieses Werkzeugs, welches übrigens von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur erfunden wurde, ist es, sich die Zielgruppen und deren Probleme, Aufgaben und Bedürfnisse systematisch anzusehen und daraus sinnvolle Produkte und Dienstleistungen abzuleiten. Für erste kurze Einblicke in die Methodik empfehle ich dieses Video.
Nachfolgend ist der VPC als Poster dargestellt, welches man für eine Bearbeitung am besten groß druckt und dann mit Post-it-Notes befüllt.
Auf der rechten Seite beschreibt der VPC Kundensegmente in Bezug auf Aufgaben, Probleme und Nutzen. Kundenaufgaben beschreiben Aufgaben, die Kunden in einer bestimmten Situation zu lösen versuchen. Dies umfasst nicht nur funktionale Aufgaben, sondern auch soziale und emotionale Aspekte. Probleme stehen für Hürden, die Kunden bei der Erledigung ihrer Aufgaben zu bewältigen haben oder die sie an der Erledigung der Aufgaben hindern. Nutzen beschreiben gewünschte Ergebnisse, die von Kunden gefordert und gewünscht werden.
Die linke Seite hingegen nimmt die Sicht des Anbieters ein. Dort werden Produkte und Dienstleistungen gelistet, die für das entsprechende Kundensegment relevant sind. Problemlöser beschreiben, wie diese Angebote eines oder mehr Probleme der Kunden lösen können. Analog beschreiben Nutzenbringer, wie diese Angebote Nutzen stiften. Diese Seite kann von Anbietern gestaltet und damit kontrolliert werden. Auf die rechte Seite hingegen haben Anbieter wenig Einfluss. Entscheidend ist es dort, durch Empathie die Aufgaben möglichst gut zu verstehen, um ein passgenaues Angebot entwickeln zu können.
Ziel des VPC ist es, mit Produkten und Dienstleistungen Kunden zu unterstützen, ihre Aufgaben zu bewältigen, relevante Probleme der Kunden zu lösen und Nutzen zu bieten. Nur wenn ein Wertversprechen das schafft, hat es Chancen, auf dem Markt zu bestehen.
So weit, so gut für diesen ersten Beitrag. Im kommenden Beitrag werde ich beschreiben, wie die Segmente des VPC ausgefüllt werden und welche Leitfragen dafür zu Rate gezogen werden können. Des Weiteren werden ich im kommenden Beitrag den Interlock der Ergebnisse des VPC zum Business Model Canvas (BMC) erläutern, wo es dann darum geht, die Erstellung und Lieferung der gefundenen Produkte und Dienstleistungen in ein Geschäftsmodell zu gießen.
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