Führung – ein Inside-Job

Führung – ein Inside-Job

Führung wird gerne technisch gesehen, als die Summe der Verhaltensweisen, mit denen es einer Führungskraft gelingt, erfolgreich zu sein. Erfolge werden dabei gerne der Führungskompetenz zugeschrieben, Misserfolge hingegen den ungünstigen Rahmenbedingungen oder den schwierigen Mitarbeitern. Kein Wunder, dass sich die allermeisten Führungstrainings darauf beschränken, die Führungstechniken zu verbessern: Führungskräfte erhalten die Gelegenheit zu üben, wie sie ihre Mitarbeitergespräche gestalten sollen oder gar in einen visionären Dialog mit ihrem Team eintreten können – selten geraten die eigenen inneren Bilder zu Führung und Geführtwerden in den Blick. Und auch die desillusionierenden Hinweise der systemischen Forschungen, dass man komplexe Organisationen überhaupt nicht von außen verändern könne, vielmehr beschränkten sich die eigenen Steuerungsmöglichkeiten auf die gezielte und wirksame Selbstveränderung, werden kaum aufgegriffen.

#leanmagazin
am 18. 01. 2022 in LeanMagazin von Prof. Dr. Dr. Rolf Arnold


Am Anfang war der Zuschreibungsfehler

Aus der Organisations- und Evaluationsforschung hätten wir es eigentlich wissen müssen: Die beobachtbare Veränderung eines Systems kann nicht allein und meist auch gar nicht in erster Linie auf gelungene Interventionen zurückgeführt werden. So ist alles beobachtbar:

  • Organisationen, die sich wandeln, obgleich niemand interveniert hat,
  • solche die sich nicht wandeln, obgleich Grundlegendes verändert wurde,
  • gelingende Transformationsansätze, bei denen sich tatsächlich das Erwartete einstellt
  • und schließlich solche Kontexte, in denen es eine wohl überlegte Veränderung der Organisations- und Führungskultur gegeben hat, durch die sich aber vieles verschlechtert hat.

Allenthalben lauern ungewollte Nebenwirkungen, deren Auswirkungen vielfach schlimmer sind als der Anlass, der die Intervention ausgelöst hat. Vielfach setzen Interventionen in komplexe Routinen und Abläufe auch eine „Logik des Misslingens“ (Dörner) in Gang, deren Folgen oft kaum noch beherrschbar sind. Die systemische Forschung weiß, dass Kontexte meist in bester Absicht zerstört werden, weil man Zuschreibungsannahmen folgt, für die wenig spricht – außer dass sie in uns das Bild von der Beherrschbarheit komplexer Abläufe stärken. Die Frage, seit wann wir solche Bilder in uns tragen, und ob wir diese gegebenenfalls auch aufgeben könnten, wird selten gestellt – sie scheint zu persönlich zu sein und spricht eine Schwäche in uns an, wo wir doch lieber der Vorstellung folgen, dass man lernen könne, die Fäden im Griff zu behalten und zu steuern, wenn Steuerung nötig wird.

Spiritualität und Emotionale Kompetenz

Die unerwartete Frage, mit der man Führungskräfte verstören kann, ist: „Seit wann haben Sie das?“ (Arnold 2012)  Zunächst wird meist zunächst nicht verstanden, worauf sich diese Frage bezieht – erst im Nachsetzen kann geklärt werden, dass hierbei nicht der Gehalt einer Beurteilung hinterfragt, sondern der Blick reflexiv auf das Motiv der Beurteilung und ihre biographische Herkunft gelenkt wird. Dadurch kann eine Stop-and-Think-Schleife in Gang gesetzt werden, welche die Führungskräfte allmählich darin übt, sich vor aller Beurteilung einer Situation zu fragen, was die zu beurteilende Situation ihr über sich selbst in Erinnerung ruft. Diese Schubumkehr des Beobachtens, Denkens und Handelns ist grundlegend. Mit ihr reift eine andere Haltung gegenüber sich und der Welt, und Führungskräfte lernen, ihre Verantwortlichkeit neu zu bestimmen: Verantwortlich sind sie in erster Linie für ihre eigenen Konstruktionen der Wirklichkeit und die mit diesen einhergehenden Konsequenzen. Sie können sich zwar weiterhin ungefiltert von ihren inneren Bildern und Interpretationen leiten lassen, ohne zu merken, dass diese selten etwas mit der aktuellen Gegebenheit zu tun haben, oder sie üben sich in den Fähigkeiten,

  • auf das Gegenübersystem zu lauschen,
  • zunächst schweigend zu beobachten,
  • mit den beteiligten Akteuren eine Resonanz zu finden,
  • um schließlich – möglichst - im Einklang mit deren Einschätzungen und Erwartungen zu agieren und Dissonanzen zu vermeiden.

In der amerikanischen Führungsdebatte ist die Rede von einem „Personal Mastery“ der verantwortlichen Entscheider und Gestalter. Diese erreichen mit ihren Handlungen Wirksamkeit, wenn es ihnen gelingt, die erwähnten Fähigkeiten ins Spiel zu bringen – nicht, indem sie das Gegenübersystem mit ihrer Expertise überziehen. Dabei mag zwar die letzte, durch evidenzbasierte Forschung gewonnene Einsicht zur Anwendung gelangen, übersehen werden aber die eigentlichen Kohäsionsstoffe des Sozialen. Diese sind Akzeptanz, Vertrauen, Beteiligung und Beziehung.

Vertrauensbildung und Kontextsteuerung, Zukunft in Erscheinung treten zu lassen

Indem auch Führungskräfte lernen, sich mehr mit sich selbst als mit der jeweils neuesten Führungstheorie zu befassen, kommen sie auch den eigentlichen Ansatzpunkten einer gelingenden Transformation des Sozialen immer näher. Diese liegen in der Bereitschaft und Fähigkeit, das, was sie gelernt haben, als das zu sehen, was es ist: Ihre Form der Konstruktion des Sozialen – eine wichtige erste Lektion bei der Erweiterung der eigenen Führungskompetenzen. Wer nämlich aufhört, seine eigene – innere – Landkarte mit der Wirklichkeit selbst zu verwechseln, der übt sich darin, die Vielfalt der möglichen Lesarten ein und derselben Lage zuzulassen. Er begreift mehr und mehr, das seine  Interpretation einer Situation nicht bereits deshalb „richtig“ ist, weil er über sie verfügt. Vielmehr lernt er zu verstehen, dass seine eigenen Interpretationen ihm lediglich dabei behilflich sind, Unbegreifliches auszuleuchten und – für sich selbst – begreifbar zu machen. Allmählich kann in ihm die Einsicht reifen, dass auch das Gegenüber, über dessen Verhalten er zunächst bloß den Kopf zu schütteln vermag, gute Gründe für das eigene Tun hat, nämlich die eigenen Gründe – so unbegreiflich und ungerechtfertigt einem diese auch erscheinen mögen.

Damit ist der Weg bereitet, um sich einer grundlegenden Lektion nachhaltigen Führungshandeln zu öffnen: Erfolgreiche Problemlösungen sind in aller Regel bloß in der Resonanz mit dem Gegenüber und seinen „guten Gründen“ erreichbar. Wer sich über diese hinwegsetzt, hat stets das Problem, dass der Andere mehr oder weniger offen an seiner Ursprungslesart festhält, sich nur zähneknirschend „fügt“, im Verborgenen und in seinen Dialogen am Arbeitsplatz aber seine Meinung weiter verbreitet und auftretende neue Schwierigkeiten bereitwillig als Beleg für den großen Irrtum seiner Vorgesetzten nutzt. Wenn es nicht gelingt, die guten Gründe des Gegenübers einzubinden, erzeugt man als Führungskraft quasi automatisch ein dementierendes Potenzial, welches die Synergien im System auch zu lähmen vermag. Man hat dann zwar „Recht“ bekommen, jedoch bloß um den Preis einer eingeschränkten Mitwirkung du nicht selten kontraproduktiven Gesamtwirkung: Alle (er)warten das Scheitern, weil nur dieses sie selbst mit ihren übersehenen Positionen zu würdigen scheint. Ohne eine erschließende Nachfrage beim Gegenüber wäre dies nicht passiert.

Was tun?

Folgende Checkliste bietet einen ersten Zugang zur Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten zur erschließenden Nachfrage:

Vielen Führungskräften sind die erwähnten Pyrrhus-Siege aus eigener leidvoller Erfahrung bewusst. Und auch nach zahlreichen Führungstrainings sehen sie sich oft nicht wirklich in der Lage, „ihre Leute“ – wie sie sagen - in anderer Weise und wirksamer zu führen. Kein  Wunder! Denn der eigentliche Weg zur wirksamen Führung geht über die Fähigkeit sich selbst zu verändern und dadurch anschlussfähiger zu werden für die Vielfalt der Motive, Erfahrungen und Potenziale der Menschen, mit denen gemeinsam man sich auf dem Weg befindet.

Literatur:

Arnold, R.: Seit wann haben Sie das? Grundlinien eines Emotionalen Konstruktivismus. 2. Auflage. Heidelberg 2012 (Carl-Auer).
Arnold, R.: Wie man wird, wer man sein kann. 29 Regeln zur Persönlichkeitsbildung. Heidelberg 2016 (Carl-Auer)

Über den Autor:

Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Arnold                                                                                                     

Univ.-Prof. Dr. Rolf Arnold wirkt seit 2019 als Seniorprofessor für das Fachgebiet Pädagogik (Schwerpunkt: insbesondere Berufs- und Erwachsenenpädagogik) an der Technischen Universität Kaiserslautern. Nach mehrjähriger Führungsfunktion in einer internationalen Organisation, leitete Arnold seit 1992 den Aufbau des heutigen „Distance and Independent Studies Center“ (DISC) an der TU Kaiserslautern zu einer der größten akademischen Fernstudieneinrichtungen in Deutschland, dem er bis 2019 als Wissenschaftlicher Direktor vorstand. Er ist Sprecher des Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz (VCRP), einem Hochschulnetzwerk, welches ca. 100.000 Studierende betreut. Arnold ist außerdem international als systemischer Berater in Fragen der Führungskräfteentwicklung und der didaktischen Organisationsentwicklung engagiert.

Seine neueren Bücher:
Fake News in Science and Education. Leavin Weak Thinking Behind. New York: Rowman&Littlefield 2019.
Das kompetente Unternehmen. Pädagogische Professionalisierung als Unternehmensstrategie. Wiesbaden: Springer 2018.
Leadership by Personality. Von der emotionalen zur spirituellen Kompetenz. Wiesbaden: Springer 2014.
Wie man führt, ohne zu dominieren: 29 Regeln für ein kluges Leadership. Heidelberg: Carl Auer 2015
Wie man lehrt, ohne zu belehren: 29 Regeln für eine kluge Lehre. Heidelberg: Carl Auer 2018



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