Wie gemalt ... Folge 106
Wir wissen nicht viel über die großen Steuermänner, die CEOs weltumspannender Unternehmen, jedenfalls nicht viel über das, was nicht in den Schlagzeilen steht. Über das, was sich, wenn man den Klamauk weglässt, entblättert, wenn man die Zwiebel schält, die Schalen dünner werden, die das verbergen, wer jemand ist ...
Nun steht das, was man gemeinhin das „Ich“ nennt, also vielleicht das Selbstverständnis, die „Denke“ nicht fein säuberlich auf einem Schild um den Hals desjenigen oder klebt wie eine Brosche an seinem Jackett.
Man könnte sogar so weit gehen, dass das Tiefere, vielleicht der Kontext, aus dem jemand handelt, um noch eine rationale Bastion zu bemühen, von dem Betreffenden selbst nur wenig beleuchtet ist, wenn überhaupt.
Möglicherweise ist das auch ganz gut so.
Doch manchmal schiebt der Vorhang sich lautlos auf.
Dann schimmert aus der Tiefe ein Stück von dem, das sich nicht so einfach beschreiben lässt, gleich einer vagen Schrift, wie sie dem König von Babylon an einer Wand erschien, hervor. Aber wir werden sehen.
Nemo hat einen Traum.
Er befindet sich im Atelier Fortunatas, seiner Ehefrau seit Jahrzehnten und Malerin.
Unversehens fällt sein Blick auf ein Bild an der Wand. Nemo tritt näher. Das Gemälde zeigt einen wunderschönen Jüngling in einem Meer von wilden Blumen. Er spielt mit ihnen und wäre dies Bild ein Musikstück, es hätte die Leichtigkeit eines Allegrettos, den Duft des morgendlichen Taus, mit einem Wort, es zeigt die Schönheit der Unschuld, der Freiheit an und für sich wie gemalt.
Neben dem Bild hängt ein Spiegel.
Fortunata blickt von ihrer Staffelei auf.
Fortunata: „Nemo, das Bild zeigt dich, wie ich dich kennenlernte, lang ist’s her.“
Nemo: „Das bin ich nicht!“, und er schaut in den Spiegel.
Fortunata: „Doch, das bist Du!“
Nemo: „Das ist doch Unsinn, diese ganze Verspieltheit. Das bin ich nicht.“
Fortunata: „Ich weiß, dass Du das denkst.“
Nemo wendet sich ab.
Nemo: „Das Leben ist kein Blumenmeer.“
Fortunata: „Du magst lieber gepflegte Blumenbeete wie im Schlosspark von Versailles oder in Deinem Park hier?“
Nemo: „Ja genau, Schönheit ist Ordnung.“
Szenenwechsel.
Der Interviewer trifft Fortunata.
Interviewer: „Gibt es eigentlich dieses Bild noch, dies Bild mit dem Jüngling?“
Fortunata: „Das Bild war eine Liebeserklärung an Nemo, es liegt in meinem Atelier. Ich habe es gerettet.“
Interviewer: „Wieso gerettet?“
Fortunata: „Nemo konnte es nicht ertragen, sich als Jüngling zu sehen.“
Interviewer: „Mmmh …“
Nemo erscheint.
Nemo: „Wovon redet Ihr?“
Fortunata: „Wir reden von dem Jüngling Nemo!“
Elvira, die inzwischen hinzugekommen war: „Oh Yeah, Nemo, mein Jüngling!“
Nemo: „Weißt du, diese Spinner, diese Tagträumer, diese … ach was … das bin ich nicht, außerdem muss ich zum nächsten Termin.“
Der Interviewer und Elvira gehen zum Fahrstuhl.
Interviewer: „Was meint Fortunata eigentlich mit dem Jüngling Nemo?“
Elvira: „Frag sie mal!“
Das wird dann am nächsten Dienstag geklärt werden, es sei denn, das Tagesgeschäft erlaubt solche Überlegungen nicht …
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