Kann man machen … Folge 126
oder "Aquila non captat muscas!"
Kann man machen, muss man aber nicht … ist ein Satz, den man allenthalben hören kann.
Er zeigt auf, dass es mehr Möglichkeiten zum Handeln gibt, als man tatsächlich verwirklichen sollte. Niemand muss etwas Bestimmtes tun, es gibt immer eine Alternative und wenn es die ist, nichts zu tun. Das ist der Gedanke dahinter.
Dr. Nemo, der CEO von WMIA Incorporated, liebt solche Sätze ...
Sie sind einfach, sie sind üblich, deshalb eingängig und zudem wird ja bekanntlich das, was jeder kennt und jeder sagt, nicht mehr reflektiert. Mainstream heißt das auf gut Deutsch.
Nun, dies mit dem „Kann man … muss man aber nicht“ gehört zu Dr. Nemos Standardrepertoire, insbesondere in seiner Betrachtung der Unternehmensentwicklung, der Gestaltung der Führung, des Umgangs mit den Kunden und überhaupt.
Der Interviewer befindet sich in einem Nebenraum des Vorstandsbüros. Es ist das Sitzungszimmer des Vorstands. Ein exklusiver Fahrstuhl, der der Beförderung ausschließlich der Vorstandsmitglieder vorbehalten ist, führt hierher.
Die Einrichtung überrascht den Interviewer. Die Wände sind eichenholzbraun mit hellen Blumenintarsien getäfelt. Tiefe cremefarbene Clubsessel auf Chromschwingen, wie man sie in den 60-ziger Jahren hatte, sind hübsch angeordnet, stehen sozusagen kollegial nebeneinander. Reste einer rosa Papiergirlande, wie man sie von Kindergeburtstagen kennt, hängen verloren und wohl vergessen unter dem weiß blau gemusterten holländischen Porzellankronleuchter, dessen Licht so fahl gelblich scheint, wie die weißen Haare eines alten Mannes, der nicht das altersentsprechende Shampoo benutzt und – wer hätte das gedacht – es gibt einen Tresen mit einer Zapfanlage für Bier des hauseigenen Brauereikonzerns. Dass frisch gewienerte Biergläser ordentlich hierarchisch nach Größe sortiert hinter dem Tresen im Neonlicht der gedimmten Hintergrundbeleuchtung des Tresens in Reih und Glied über und untereinander geordnet glänzen, braucht nicht erwähnt zu werden, es passt doch gut und war schon immer so. Warum sollte man das ändern … Muss man ja nicht …
Nur der Geruch von altem Zigarrenqualm, den hätte man wenigstens durch Lüften beseitigen sollen oder die schweren Brokatvorhänge, die diesen Raum nach außen abschirmen und den Blick mangels einer alternativen Blickrichtung auf die leicht renovierungsbedürftigen Bilder an der Wand oder was auch immer richten, hätte man mal auswechseln können, ist aber nicht so … was einer gewissen Symbolik nicht entbehrt … aber auch das gehört wohl dazu, zum Zentrum der Macht bei WMIA Incorporated, dem größten Unternehmen der Welt.
Interviewer: „Wow!“
Letzteres war ein Ausruf des erstaunten Entsetzens, den Nemo allerdings als Kompliment wertete … kann man so empfinden, muss man aber insbesondere in diesem Moment nicht … aber, na ja …
Nemo: „Den hat noch mein Vater - Gott hab ihn selig – eingerichtet. Wir lassen ihn so, wie er ist. Wir könnten ihn natürlich verändern, aber wir müssen ja nicht. Schauen Sie mal, hier sind noch die alten Zigarrenkisten …“
Der Interviewer unterbricht, was zwar unhöflich ist, aber er setzt sich darüber hinweg, über dieses „das kann … aber muss man ja nicht tun“ und meint: „Herr Dr. Nemo, wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es nichts, was Sie eigentlich tun müssten?“
Nemo: „Sehen Sie, junger Mann …“ und dieses „Sehen Sie, junger Mann“ sagte schon Nemos Vater, „wir sind die größten, wir müssen gar nichts, wir könnten und ob wir etwas tun, das entscheiden nur wir.“
Interviewer: „Mag sein, aber sind Sie nicht Teil einer sich weiter entwickelnden Welt, des Marktes? Gibt es nicht auch für Sie ein „Muss“, dem Sie folgen sollten? Haben sich die Verhältnisse nicht doch umgekehrt, dass das, was Sie könnten, auch tun müssten?“
Nemo: „Nix da, schauen Sie auf unsere Zahlen, uns geht es doch blendend mit dieser Einstellung!“
Nemo muss zum nächsten Termin. Elvira begleitet ihn und heute trägt sie ein uraltes Parfum, muss sie nicht, aber sie macht das gern.
Wie es weitergeht mit Dr. Nemo und WMIA Incorporated erfahren wir - wie immer - nächsten Dienstag.
Doch halt: So schlecht ist der Gedanke, der in dem Satz steckt, nicht. Jedenfalls wenn das dahinterliegende Denken die schweren Brokatvorhänge ein wenig beiseiteschiebt.
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