Job Transfer Training – Teil 4: Zwischen Bauchgefühl und Betriebsblindheit – Was bei Job Transfers wirklich zählt

Job Transfer Training – Teil 4: Zwischen Bauchgefühl und Betriebsblindheit – Was bei Job Transfers wirklich zählt

Im letzten Artikel konnten Sie die Vier-Schritte-Methode der Job Transfers und die fünf Trainingsmodule des Job Transfer Trainings kennenlernen, das den Wissenserhalt im Unternehmen strukturiert und praxisnah gestaltet.

Nun geht es um die zentrale Frage: Was macht einen erfolgreichen Job Transfer in der Praxis wirklich aus? In diesem Beitrag stehen sieben zentrale Aspekte im Fokus, die über das reine „Übergabeprotokoll“ hinausgehen und tief in den betrieblichen Alltag hineinreichen.

21. Mai 2025 um 04:30 Uhr von Götz Müller
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Anhand von Beispielen aus dem Bauhandwerk sowie der Karosserie- und Lackbranche wird deutlich, wie Wissen sichtbar gemacht, reflektiert und wirksam weitergegeben werden kann. Die Impulse lassen sich leicht auf produzierende und industrielle Unternehmen übertragen – ebenso auf indirekte Bereiche, in denen Erfahrungswissen oft unterschätzt, aber genauso entscheidend ist.

Der bevorstehende Ruhestand langjähriger Mitarbeitender stellt Unternehmen immer häufiger vor eine unsichtbare, aber tiefgreifende Herausforderung: Den drohenden Verlust von Know-how, das über Jahrzehnte gewachsen ist – oftmals nicht dokumentiert, sondern im Kopf und den Händen der Menschen verankert. Während die fachliche Nachfolge meist mit einem pragmatischen „Der weiß schon, wie’s läuft“ gelöst wird, zeigt sich bei genauerem Hinsehen ein gefährlicher Mix aus Bauchgefühl und Betriebsblindheit. Doch genau hier setzen professionelle Job Transfers an – systematisch, reflektiert und praxisnah.

In diesem vierten Teil der Artikelserie zum Job Transfer Training wird der Blick auf sieben zentrale Praxisbezüge gelenkt, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Sie bieten eine Orientierung, wie Unternehmen, speziell im Bauhandwerk, der Karosserie- und Lackbranche, aber auch in industriellen Kontexten, den Erfahrungsschatz ihrer Mitarbeitenden wirklich sichern können.

1. Wissen erkennen – das Unsichtbare sichtbar machen

Der erste Schritt eines gelungenen Job Transfers ist die Erkenntnis, dass nicht alles Wissen offensichtlich ist. Viele Fachkräfte handeln intuitiv – sie „spüren“, wann ein Putz ausreichend durchgetrocknet ist, ob ein Lackierauftrag gelingt oder wann bei einer Schalung etwas „nicht stimmt“.

Im Bauhandwerk kann das bedeuten, dass ein Polier erkennt, wie eine Baustelle zu „lesen“ ist: Welche Gewerke Probleme verursachen könnten, wo Verzögerungen drohen, wie ein Gespräch mit dem Bauherrn geführt werden muss. Diese Erfahrung ist selten dokumentiert, aber hochwirksam.

Im Job Transfer geht es daher nicht nur um Faktenwissen, sondern auch um implizites Erfahrungswissen. Erst durch strukturierte Interviews, Job-Begleitungen und gezielte Fragen („Woran machst Du das fest?“) wird dieses Wissen sichtbar – und damit transferierbar.

2. Reflexion statt Routine – Betriebsblindheit aufdecken

Langjährige Mitarbeitende sind geprägt von ihrer Umgebung – und ihre Routinen sind nicht immer hinterfragt. Was vor zehn Jahren ein cleverer Workaround war, ist heute vielleicht eine Quelle für Qualitätsprobleme oder unnötige Komplexität.

In der Karosserie-Instandsetzung kann das z.B. der Umgang mit wiederverwendbaren Teilen sein. Wenn diese nicht systematisch markiert und gelagert werden, kommt es zu unnötigen Suchzeiten oder sogar Verwechslungen – und niemand merkt es, weil „wir das schon immer so machen“.

Das Job Transfer Training integriert Reflexionsphasen, in denen erfahrene Mitarbeitende ihre Abläufe mit einem „Anfängerblick“ betrachten – gemeinsam mit der übernehmenden Person. So wird Betriebsblindheit nicht übergeben, sondern durchdacht und wenn nötig korrigiert.

3. Beobachten lernen – nicht nur hören, sondern erleben

Erfahrung ist nicht nur in Worten vermittelbar. Viele Handgriffe, Reaktionen und Entscheidungen entstehen im Tun. Deshalb ist das Beobachten ein zentrales Element des Job Transfers. Dazu gehört auch die bewusste Selbstbeobachtung der übergebenden Person, unterstützt durch „dumme“ Fragen der übernehmenden Person.

In der Lackiererei zeigt sich z.B. beim Mischen von Farbtönen, wie entscheidend kleinste Nuancen sind. Eine Erklärung reicht nicht – die übernehmende Person muss sehen, hören, riechen, fühlen, wann ein Mischverhältnis stimmt.

Das Training fördert gezielte Beobachtungsphasen: Die übernehmende Person beobachtet nicht nur die Tätigkeiten, sondern stellt konkrete Fragen zur Entscheidungsfindung. Umgekehrt reflektiert die übergebende Person, was sie gerade warum tut. Das schafft eine tiefere Form des Lernens.

4. Erklären können – das eigene Wissen auf den Prüfstand stellen

Oft merken Fachleute erst beim Erklären, wie komplex ihr Wissen wirklich ist. Oder wo Lücken bestehen. „Ich mach das halt so“ ist keine Erklärung – aber ein häufiger Satz beim ersten Versuch, Dinge weiterzugeben.

Im industriellen Kontext – z.B. bei der Maschinenbedienung – kann das bedeuten, dass ein erfahrener Maschinenführer erklären muss, warum er bei bestimmten Geräuschen den Prozess abbricht oder bei Vibrationen den Vorschub anpasst. Diese Entscheidungen sind Routine – aber nicht trivial.

Das Job Transfer Training nutzt genau diesen Effekt: Es bringt übergebende Personen in die Situation und versetzt sie in die Lage, ihr Wissen strukturiert weiterzugeben. Dabei helfen standardisierte Transferprotokolle und der Einsatz der Vier-Schritte-Methode (vormachen, erklären, nachmachen lassen, kontrollieren).

5. Fragen zulassen – Unsicherheiten sichtbar machen

Ein oft unterschätzter Aspekt ist die Qualität der Fragen. Wer übernimmt, muss nicht alles wissen – aber die richtigen Fragen stellen können. Nur so entsteht ein echter Dialog, statt ein Monolog der erfahrenen Person.

Im Bauhandwerk kann eine übernehmende Person z.B. fragen: „Wie erkennst Du, ob ein Subunternehmer termintreu ist?“ oder „Warum dokumentierst Du die Abnahme genau auf diese Weise?“ Solche Fragen zeigen Interesse – und helfen, Entscheidungslogiken zu verstehen.

Das Training unterstützt diese Kultur durch moderierte Übergabegespräche, in denen Unsicherheiten Raum bekommen. So wird Lernen als gemeinsamer Prozess erlebt – nicht als Abfrage von Wissen.

6. Transfer dokumentieren – Gedanken für morgen konservieren

Gutes Transferwissen ist nicht nur mündlich. Gerade in industriellen Kontexten, aber auch im Handwerk, sollten zentrale Informationen dokumentiert werden – in Form von Transferprotokollen, Erfahrungsnotizen, Fotodokumentationen oder kleinen Videos.

Beispiel Karosserie & Lack: Eine erfahrene Fachkraft dokumentiert, wie Kunststoffteile behandelt werden müssen, um spätere Lackschäden zu vermeiden – mit Fotos, Anmerkungen und Werkzeughinweisen. So bleibt das Wissen nicht nur im Kopf, sondern wird für andere zugänglich.

Die Dokumentation ist kein Selbstzweck, sondern ein aktives aber nicht alleiniges Transfermedium. Wichtig ist, dass sie mit den Beteiligten erstellt wird – nicht als Bürokratie, sondern als Lernhilfe.

7. Verantwortung übergeben – der richtige Zeitpunkt zählt

Am Ende des Job Transfers steht nicht nur ein informeller Handschlag, sondern ein bewusster Wechsel der Verantwortung. Das ist mehr als eine organisatorische Maßnahme – es ist ein kultureller Akt.

In vielen Unternehmen scheitert dieser Schritt: Die übernehmende Person fühlt sich noch nicht bereit, die übergebende Person kann nicht loslassen. Hier braucht es eine Phase des „kontrollierten Loslassens“: Die übernehmende Person trifft Entscheidungen, die übergebende Person bleibt als Sparringspartner verfügbar – aber greift nicht mehr aktiv ein.

Im Bauumfeld kann das bedeuten, dass der zukünftige Bauleiter eine Bauabnahme eigenständig durchführt – und der scheidende Kollege im Hintergrund beobachtet. Erst wenn das mehrfach gelungen ist, erfolgt der formale Übergang.

Fazit: Job Transfers sind keine Checklistenübung

Wie bei den Job Evaluations und Layered Process Audits geht es bei Job Transfers nicht um Kontrolle, sondern um Begleitung, Reflexion und aktives Lernen. Der Praxisbezug entsteht durch echte Begegnung: zwischen Mensch und Aufgabe, zwischen Erfahrung und Neugier, zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Unternehmen, die diesen Übergang bewusst gestalten, sichern nicht nur ihr Wissen – sie schaffen eine Lernkultur, die auch über den Einzelfall hinaus wirkt. Denn wo Betriebsblindheit endet und Bauchgefühl greifbar wird, entsteht Kompetenz. Und diese ist in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel ein unschätzbares Kapital.

Anregung zur Umsetzung:

  • Identifizieren Sie innerhalb der nächsten sechs Monate alle Ruhestandskandidaten mit Schlüsselpositionen.
  • Starten Sie mindestens einen begleiteten Job Transfer Prozess mit strukturierter Beobachtungs- und Reflexionsphase.
  • Nutzen Sie das Job Transfer Training, um die Vier-Schritte-Methode im Unternehmen zu verankern.
  • Ermutigen Sie Teams, Fragen zu stellen – und Antworten sichtbar zu machen.

Ausblick: Im nächsten Beitrag dieser Serie beleuchte ich, wie der Transferprozess nachhaltig wirksam bleibt – und welche Rolle Führungskräfte dabei spielen, um Job Transfers als festen Bestandteil der Unternehmenskultur zu etablieren.



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