
Digitale Amnesie?
Michelle und ich hatten einen geplanten einstündigen Gedankenaustausch, der sich aber dann doch zwei Stunden lang hinzog.
Wir verabredeten ein neues "Treffen" via skype, das in den nächsten Tagen erfolgen sollte.
"Abgemacht", dachte ich, denn sie war schon auf dem Weg zum Flughafen, das Tablet sicher in ihrer Handtasche verstaut, um ein paar Tage in Mexiko zu entspannen.
Eine Woche verging, nichts tat sich. Eine zweite Woche schloss sich ergebnislos an. Der Gedanke des amerikanischen Stereotyps ‚aus den Augen aus dem Sinn‘ machte sich bei mir breit und so vergaß ich die ganze Sache.
Plötzlich und unerwartet, weit mehr als zwei Wochen waren verstrichen, erschien eine E-Mail auf dem Bildschirm: ‚Sorry, my PC crashed. I lost all contact to the world, but now it has been fixed‘.
Aha! Eine temporäre digitale Amnesie!
Nun gehöre ich zum Schlage ‚Old School‘, der noch mit Papier und Bleistift seine Termine und Notizen macht (dem Radiergummi sei Dank bei jeder Terminverschiebung). Nur mit Widerwillen unterwerfe ich mich einem Gruppenkalender oder Doodle. Oft verfolge ich staunend, wie digitale Lebenskünstler gewandt mit den verschiedenen Plattformen und Apps als Krücken ihre Termine, Gedächtnisstützen, Kurzmitteilungen (‚bin gerade im Parkhaus‘) im Termindickicht wiederfinden. Ganz zu schweigen von den zwingenden medialen Anforderungen, Updates, Weckrufen und automatisierten To-Do Listen. Ganz Gewitzte haben das natürlich schon verknüpft und automatisiert!
Wenn PC’s, Tablets, Smartphones den Geist aufgeben, die Batterien leer sind, ohne eine Ladestation oder Steckdose zu haben, dann trifft existentielle Ziellosigkeit auf die Mauer des hilflosen Aktionismus. Die Wiederentdeckung der Langsamkeit trifft den User mit voller Härte.
Die durch Digitalisierung gesteigerte Effizienz erlaubt uns, weiterhin Fehler zu machen: jetzt aber schneller, umfassender und mit weniger Aufwand.
Eine, wenn auch nur temporäre digitale Amnesie, wirft uns zurück, lässt uns etwas verpassen und gliedert uns vom weltlichen Geschehen aus. Das macht nervös. Unsicherheit und Furcht machen sich breit, ja es kommt zu Entzugserscheinungen.
Seit Google & Co. uns jegliches Warten verkürzen, seit die schnelle E-Mail immer eine schnelle Antwort suggeriert und gezwitscherte Freundeskreise dauernd ‚gefüttert‘ werden wollen, geht es ohne Verbindung nicht mehr.
‚On-line‘ als Dasein und Lebensbestätigung hat sich zum Lebenszeichen gemausert.
Bleibt die Frage, kann ich eine Verbindung haben, ohne zu sein?
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