5S – Weit mehr als „schöner Arbeiten“

5S – Weit mehr als „schöner Arbeiten“

Die Menschen ausserhalb von Asien betrachten die dortigen Eigenarten meist mit Unverständnis. Gerade die extreme Reduktion einer Sache, einer Methode oder eines Sachverhaltes auf wenige Zeichen. Im Gegensatz dazu stösst es in China und Japan auf Unverständnis, dass uns alles Wort für Wort dargelegt wird. Kein selbständiges Nachdenken und Erforschen über Jahre hinweg, um zu erkennen, was sich hinter etwas verbirgt.

#leanmagazin
am 03. 07. 2017 in LeanMagazin von Frédéric Jordan


Zum Einstieg einige Beschreibungen der 5S-Methode:

  • „Die Methode 5S wird zur Gestaltung von verschwendungs-, störungsarmen (-freien) Arbeitsplätzen verwendet.“
  • „Die 5S-Methode ist eine systematische Vorgehensweise, um den eigenen Arbeitsplatz und die Arbeitsumgebung derart zu gestalten, dass der Bearbeiter sich optimal auf die wertschöpfenden Tätigkeiten konzentrieren kann.“
  • „Die 5S-Methode ist eine japanische Qualitätstechnik, um den Arbeitsplatz dauerhaft effizient zu gestalten.“
  • „5S ist eine systematische Vorgehensweise, um in fünf Schritten zu effizienten Prozessen durch Ordnung, Sauberkeit und Standardisierung am Arbeitsplatz zu gelangen.“

Die Aussagen vermitteln den Eindruck, die Methode sei rasch verständlich und anwendbar. Seit Jahren starten die meisten Unternehmen ihre Lean-Aktivitäten damit. Berater weltweit erfreuen sich der Leichtigkeit des Verkaufs und den raschen Erfolgen beim Kunden.

Vielen Firmen fehlt jedoch die Langzeitwirkung der 5S-Methode. Die Motivation der Mitarbeitenden sinkt plötzlich, der Nutzen fehlt oder wird gar nicht erst erkannt. Die alten Zustände kommen zurück. Das schreit geradezu nach Erklärungen. Diese treten durch neue Vorschläge, wie zum Beispiel weitere Methoden einzubinden und wöchentliche Audits durchzuführen, meist in den Hintergrund. Nicht wenige Firmen beenden den Versuch Lean einzuführen kurzerhand.

Selbstverständlich sind die gelisteten Erklärungen keineswegs falsch, doch sie beleuchten die Methode ausschliesslich hinsichtlich der Begrifflichkeit und den direkt erkennbaren Auswirkungen. Gemäss der Taxonomie nach Bloom, wäre dies im äussersten Fall die Stufe K3.
Viel interessanter ist es, sich über die Methode hinaus damit zu beschäftigen, das Gesamtbild zu erforschen, dieses zu verstehen und den Zweck der Methode im System zu erkennen. Nur wer versteht, der erschafft dem Kunden einen echten Nutzen.

Toyota – andere Welt

Der Grossteil der Beschreibungen im Internet wie in der (Fach)Literatur verbreitet eine typische Fehlbetrachtung hinsichtlich des Nutzens und der Wirkungsweise der Denk- und Handlungsweise von Toyota – dem Ursprung vieler Lean-Methoden.
Der ehemalige Toyota-Präsident Fujio Cho sagte einst: „Unser Weg des Denkens ist sehr schwer zu kopieren oder gar zu verstehen.“ Jeder Versuch die Materie zu erfassen und zu verstehen muss deshalb positiv gewertet werden.

Unterschiedliche Fragestellungen

Wir stellen uns bei einem Problem rasch einmal die Frage: „Womit lässt dies lösen?“. Wir sind uns gewohnt auf ein Problem mit einer standardisierten Lösung zu reagieren. Probleme sind Hindernisse, welche auf dem Weg zum Ziel auftauchen und auf welche wir keine (Lösung-)Routine kennen.

Methoden sind unwichtig

Toyota ist hinsichtlich dem Einsatz von Methoden sehr flexibel. Die Fragefähigkeit und die Problemlösungsfähigkeit der Leute sind enorm hoch. Es wird gefragt, wie ein aktuelles Problem zu lösen ist. Nicht mit welcher Methode ein Problem angegangen wird. Das Mittel zur Lösung wechselt häufig.
Gerade diese Anpassungsfähigkeit – manche würden ein Buzzword „Agile-Irgendwas“ einwerfen – macht deutlich, wie weit weg Toyota vom Durchschnitt agiert. Und dies seit Jahrzehnten. Zwei Firmen nutzen dieselbe Methode, eine hat einen wesentlich höheren Nutzen.

Nochmals… Wer versteht, der agiert richtig.

Anfang oder Ende?

In Bezug auf den einzelnen Arbeitsplatz stellt sich immer die Frage, wie dieser zu optimiert ist. Ist dies die richtige Betrachtungsweise?

Betrachten wir die Kette „Strategie -> Wertstrom -> Wertstromschlaufe -> Prozesskette -> Prozess -> Arbeitsplatz“. Macht es wirklich Sinn am Ende zu beginnen?

5S braucht kein Können

Das Tolle an der 5S-Methode ist, dass weder der Vermittler, noch der Schüler ein hohes Niveau  benötigt. Sie ist extrem einfach, direkt vom Blatt ablesbar. Sie bringt sofortige Erfolge und lässt sich problemlos auf weitere Arbeitsplätze übertragen. Ein Grund für die Beliebtheit der Methode selbst. Aber stimmt dies?

Strategie zuerst

Zuerst sind die Strategieziele zu betrachtet. Diese geben den Ausschlag, was in der Unternehmung geschehen soll. Daran ist alles auszurichten. Das verwirrt auf den ersten Blick, da die Realität in den Firmen völlig anders ist.

Es ist wenig sinnvoll einen Maschinenpark mittels 5S zum Glänzen zu bringen, wenn die Strategie besagt, dass dieser Unternehmensbereich demnächst abgestossen wird. Diese Konstellation kommt nicht selten vor.

Arbeitsplatz, ein wichtiger Bestandteil

Wo ein Chaos herrscht, ist kein Standard möglich. Eine saubere Messung ist nicht möglich. Wo kein Standard vorhanden ist, ist Kaizen nicht anwendbar.

5S bildet die Grundlage der notwendigen Prozessstabilität in diesem Bereich. Ohne Stabilität, sind die Schwankungen im Prozess zu gross und vernichten jede Auswertung der Messungen. Aus diesem einen Blickwinkel, sind die all die Erklärungen von 5S verständlich und richtig.

Zusammenspiel von Arbeitsplätzen

Der einzelne Arbeitsplatz ist nicht isoliert zu betrachten. Das Zusammenspiel zwischen einzelnen Arbeitsplätzen im Prozess ist äusserst wichtig. Mindestens der Zweite (Ordnung) und der vierte Punkt (Standard) der Methode sind nicht bloss auf den einzelnen Arbeitsplatz ausgelegt. Die Methode ist im Zusammenspiel verschiedener Elemente (mehrere Arbeitsplätze) ein wichtiger Helfer. Wie Mario Buchinger sagt, sind Methoden eine Krücke zum Ziel.

Identischer Standard – Unsinn mit Methode

Der Begriff „Standard“ wird oft falsch verwendet im Zusammenhang mit Lean Management. Er grenzt stark ein und beschreibt die Differenzierungen und deren Wirkungen viel zu wenig.
Arbeitsplätze können häufig nicht mit dem gleichen Standard bestückt werden. Bereits die unterschiedlichen Bedürfnisse von Links- bzw. Rechtshänder bereitet manchem Verantwortlichen starke Kopfschmerzen. Kommt noch die Ergonomie hinzu, ist bei vielen Firmen definitiv Schluss. Sie stossen an die Grenze der reinen Methode.

Es braucht Verständnis für die Zusammenhänge bzw. den (Aus-)Wirkungen und verlangt vom Anwender wie von den Vorgesetzen, dass sie „sehen lernen“. Dies gilt ebenso für die Personen, welche die Methode dem Unternehmen beibringen.

Gleichzeitige Einführung schadet

Nicht selten werden ganze Hallen oder Bürogebäude gleichzeitig umgestellt bzw. verändert. Dies schadet unter Umständen mehr als es hilft.
Verändere einen Punkt, beobachte diesen bzw. messe die Veränderung. Erst wenn die Wirkung bekannt und zufriedenstellend ist, findet eine Ausweitung statt. Nicht vorher.

Der Weg ist steinig

Es liegt an den Fachpersonen und Vorgesetzten, diese Zusammenhänge den Beteiligten zu erklären, sie zu coachen und zu ermutigen. Der häufig erwähnte geringe Führungsaufwand löst sich in Luft auf. Ebenso der Glauben, jede Person versteht die Methode sofort und umfassend.
Es benötig viel Führung und Coaching, eine Zwei-Weg-Kommunikation und ein regelmässiger Abgleich zwischen den involvierten Stellen, um 5S als Teil des Gesamtsystems einzubinden und zu betreiben. Jede Veränderung im oder am System hat eine Prüfung und Anpassung zur Folge.

Vorgelagerte Prozesse

Johann Anders hat es treffend geschrieben. Nur selten wird die Tatsache bemängelt, dass die entdeckten Verschwendungen an einem Arbeitsplatz selten durch diesen bzw. an diesem entstanden. In der Regel sind vorgelagerte Prozesse daran schuld.
Was erneut verdeutlicht, dass eine isolierte Betrachtung ein schönes Bild ergibt, die Mitarbeitenden stärker einbindet und einiges an Potenzial hebt und trotzdem das eigentliche Ziel ausser Acht lässt.

6S – Laien outen sich

Zunehmend wird die Methode um einen weiteren Punkt ergänzt. Der Sicherheit. Es wurde nicht verstanden, dass der Punkt überflüssig ist. Er ist und war immer enthalten. Wird aber nicht direkt beschrieben.

Lange nicht alles

Einige Facetten, die meist im Dunkeln bleiben, wurden beleuchtet. Der Leser entscheidet jetzt selbst. Er wendet die Methode in seiner stark vereinfachten Form an oder widmet sich dem Verständnis derer.

Welche Wahl treffen Sie?



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