Wie romantisch ... - Folge 67

Wie romantisch ... - Folge 67

Nemo hat den Interviewer heute eingeladen. Auf die Piazza des kleinen Dorfes oberhalb von Los Straneros mit dem romantischen Namen „Dolce“, gleich links die Straße rauf, ein wenig in die Berge und dann scharf rechts einem schmalen sich verengenden, rumpligen Eselspfad durch den Olivenhain folgend.
Hier trifft sich der harte Kern von WMIA Incorporated, des größten Unternehmens der Welt, seit Jahrzehnten in einer kleinen Bar, der einzigen des Dorfes ...

#WMIA
Podcast, am 10. 06. 2018 in Interview mit Dr. h.c. Any Nemo von Kurt August Herrmann Steffenhagen


Der Kern oder sagen wir lieber der eigentliche innere Zirkel des Unternehmens, das sind die Eigentümerfamilie Nemo und ihre engen Freunde. Der Ort ist verschwiegen, nichts hat sich in Jahrzehnten geändert, außer dass der an manchen Stellen bröckelnde Putz der alten Häuser teilweise von grauem Moos überzogen ist, was aber keinen wirklich stört.

Renato und Maria die Wirtsleute der Bar haben jene Gleichgültigkeit den Ereignissen der Welt gegenüber, die denjenigen zu eigen ist, die weit entfernt von alldem Trubel, Wissenschaft und Fortschritt leben, nur ihren Dialekt als einzige Fremdsprache sprechen und letztlich das leben, was man stille Zufriedenheit nennen könnte oder vielleicht sogar ihr Glück.

Die im Laufe der Jahrzehnte wechselnde Gesellschaft der Herren wird zur Kenntnis genommen, aber nicht wirklich kommentiert.

Hinter dem Tresen der Bar hängt ein vergilbtes schwarz-weißes Bild des „Commandante“. Maria wischt wöchentlich den Staub vom Rahmen und erneuert das kleine Sträußchen vom Jasmin. „Der Commandante“, so spricht sie manchmal dabei vor sich hin, „ja, der Commandante“ oder „Il capo“ wie man ihn ehrfürchtig nannte, „damals war die Welt noch in Ordnung …“ Dann setzt sie sich wie seit immer schon auf den Hocker vor der Bar, zupft ihren langen Rock, den sie winters wie sommers trägt, zurecht und manchmal lächelt sie in sich hinein mit halb geschlossenen Augen.

Politisch sind die Wirtsleute eigentlich nicht, sie wollen nur, dass alles so bleibt wie es ist, dass die heilige Ordnung nicht gestört würde und man immer weiß, wo oben und unten ist. „Links“ und „rechts“, was da geschieht, fällt einfach unter den Holztisch, jedenfalls versprach der Commandante das den Menschen und der Pfarrer, der Hüter der heiligen Ordnung, nahm ihn dafür in seine Fürbitte auf.

Die Bar könnte auch den Namen „Come sempre“ tragen, was so viel heißt wie „Wie immer“ und selbst das träfe es nicht genau, aber jedenfalls so ungefähr.

Der Schlag der Kirchenuhr zerteilt diese Stille in „vergangen“, „Jetzt“ und „Zukunft“… wobei das eigentlich nichts bedeutet, außer dem Glockenschlag zum „Mezzogiorno“, dem Ruf zum Niederlegen der Arbeit, zum mittäglichen Essen und zum dankbaren Gebet in dem Moment, wo der Tag den Höhepunkt erreicht und seinem Ende zustrebt … wie jeden Tag um diese Stunde, gestern, heute und morgen vielleicht auch.

Nemo geht über die Piazza auf seine Freunde zu. Sie sitzen hinter einer grünen Balustrade auf einer Art Terrasse, die nicht mehr als wohl zwei Meter misst.

Aufgereiht in irgendeiner Ordnung, vielleicht sogar nur dem Zufall folgend, sitzen sie einer neben dem anderen, einen Espresso vor sich und einer, das letzte, überlebende Familienmitglied der Gründerfamilie nippt an einem Grappa so gut er das noch kann, er gönnt sich ja sonst nichts.

Man trägt kurze Hosen und den einen wie den anderen schmückt ein weißes Feinripphemd wie man es von den alten Männern in Italien kennt.
Nemo ist ebenso gekleidet.

Und da die Uhr gerade zwölf schlug, brachte Maria den Herren ein Essen so eines, an dem man sich seit eh und je vergnügte.

Man isst schweigend wie man früher ass, andächtig, besonnen drehen sich die Spaghetti Carbonara auf die Gabeln und fast schmatzend zieht man die Pasta, die nicht mehr auf die Gabel passt mit dem Munde saugend ein. Weißes Brot tunkt man in den Teller in den Rest der Carbonara.

Irgendwo in der Ferne rauscht ein Zug. Der Zug der Zeit, kaum dass jemand vom Essen aufschaute. Der Zug fährt ohnehin vorbei.

Fast hat man es gar nicht bemerkt. Elvira fährt im gelben Bentley MK VI, ein Klassiker und ein Geschenk des Sohnes von Albert I., König von Belgien an den damals jugendlichen Dr. Nemo, vor.

Nemo winkte ihr kurz zu. Die Herrenrunde steht auf und geht in ein Zimmer der Bar. Nemo verabschiedet sich und Elvira nimmt den Interviewer in Empfang.

Interviewer: „Was sollte das? Das war doch surreal.“

Elvira, deren königliche Erscheinung noch durch den Bentley unterstrichen wurde, lächelte und man glitt den über den Feldweg gen Los Straneros.

Elvira: „Nemo liebt Inszenierungen. Es wurde wohl kaum gesprochen bei den Herren, oder?“

Interviewer: „Stimmt.“

Elvira: „Nemo wollte Ihnen etwas zeigen.“

Interviewer: „Was?“

Elvira: „Nun, viele glauben, es ginge Nemo um Macht. Mag sein. Aber, was er wirklich will und was er liebt, ist, dass alles bleibt wie es ist. So wie in der Bar in Dolce, „Come sempre“. Das kennen Sie doch auch, oder?“

Interviewer: „Mmmh …“

„Sehr romantisch“, sagt der Interviewer nach einer Pause, „vielleicht ist da aber etwas dran.“

Elvira schweigt, hinter dem Bentley verschwindet das Dorf in einer Staubwolke.

Interviewer: „Aber Business is no kissing game!“

Elvira: „Ach, ist das so?“

Das Treffen der alten Herren in Dolce hatte natürlich einen Grund. Die Krise, seit 50 Jahren unbemerkt, ist jetzt offenbar.

Was man dazu sprach, in einem Zimmer der Bar, erfahren wir am nächsten Dienstag …



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