Die andere Seite Nemos … Folge 197

Die andere Seite Nemos … Folge 197

oder ... "Quo res cumque cadent … semper sol eritur

#WMIA


Sie tanzte barfuß. Ihr kurzes rotes Seidenkleid wehte über ihren schlanken braun gebrannten Körper wie an einem Nachmittag am Strand von Ibiza. Der gebohnerte Holzboden im Festzelt wippte und verschluckte die Anmut der Bewegungen. Die Duftschwaden des Buffets hingen noch in der Luft. Smokings hielten Small Talk. Schöne Ringe glitzerten um die Wette. Kristallene Gläser klirrten, eines zerbrach am Boden. Jemand griff reichlich in die Kiste mit den Havannazigarren, es gab noch Reste vom Champagner und das Brett mit dem Kaviar war leer.

Halb drei Uhr nachts … Los Straneros … Sommernacht …

Es war Nemo’s Jubiläum, das Fünfzigste.

Nemo war noch nachts zurück in seinem Büro. Er war an seinem Schreibtisch eingeschlafen.

Die Nacht würde er eingenickt hier verbringen, gegen sechs Uhr morgens mit Nackenschmerzen aufwachen.

Dann ging er über die Straße nach Hause.

Es war kühl, leer …

Ein Geiger packte sein Instrument aus und spielte in den Lärm des Morgens. Vor ihm der geöffnete Geigenkasten. Münzen gesellten sich zu Münzen. Manchmal klimperte es. Noten brauchte er keine.

Die Violine war dunkelbraun, ungewöhnlich in ihrem Klang, melancholisch … voll strich ihre Musik über die Straße. Nemo hat auch einmal Geige gespielt.

Er hielt an. „Gib mir bitte einmal Deine Geige …“
Der Musiker reichte sie ihm.

Nemo nahm den Bogen, führte ihn über das Kolophonium und strich ein paar Töne aus dem Instrument.
„Verkauf sie mir.“

„Nein! Aber ich kann für Dich spielen“.

Nemo würde in zwei Stunden wieder in seinem Büro sitzen.

Dieser Morgen nach seinem Jubiläum wird der Anfang einer langen Reise sein … Nemo ahnte das ...

Los Straneros. Flughafen. Private Jets. Nemo rutschte mit seinem Jaguar über ein paar Bordsteinkanten. Dann ging er in die Halle. Keine Flugpläne, große private Welt.

Schwarze Nadelstreifen fallen durch die Flure.  Limousine mit Chauffeur. Die smarten Engländer elegantierten sich zum Verwaltungsgebäude von WMIA. Nemo fuhr hinterher.

Konferenzraum, 105. Stockwerk.

An den Wänden hingen beiläufig Werke zeitgenössischer Maler. Marmorfußboden. Reichtum wird hier dekliniert.

Lederne Clubsessel. Mahagoni oder noch Selteneres.

Die Stillettoabsätze der Sekretärinnen gaben der Kühle eine fast verbotene Erotik. Der Obernadelstreifen blickte auf seine Uhr.

Nemo erschien. „Meine Herren, was gibt’s?“

Natürlich wusste er, worum es ging. Er ist ein alter Fuchs.

Großes Kino. Einundzwanzig gestärkte Hemden, doppelte Manschetten, weiß bis zur Durchsichtigkeit, rasierwassergestählte Kinnladen. Geruch feiner Herrenparfums oder war es noch ein Hauch von nächtlichem Damenparfum. Manschettenknöpfe rieben am Papier. Folien wurden geworfen.

Due Diligence. Kreuzverhör der Zahlenmenschen.

Rede und Antwort wie aus Schützengräben.

Papiere raschelten hastig.

Anwälte tuschelten.

Die Berater vermeiden Blickkontakt.

Nemo gähnt.

Meeting Room.

Langweilige Wellen ziehen sich gegenseitig und am Zeiger der Uhr.

Das meinte auch George, der Dicke aus England.

Stand auf, warf die Tür hinter sich zu. Das Werfen war unabsichtlich. Er gab sich nur keine Mühe, unauffällig den Raum zu verlassen.

Er hätte auch furzen können anstelle die Tür ins Schloss fallen zu lassen.

Nemo wusste um ihn.

Er hatte letzte Nacht zwei Prostituierte für ihn bestellen lassen.

Die Anwesenheit der Beteiligten war ohnehin durch Abwesenheit gekennzeichnet.

Man sollte nicht meinen, es ginge um etwas.

Dem Geiger waren die Finger kalt geworden.

Der Sommermorgen hatte die Sonne vergessen.

Wolken schoben sich voreinander her.

Los Straneros.

Regentropfen fielen aus dem Grau.

Die Melancholie spielte von selbst.

Die Stadt reflektierte sich auf dem Lack seiner Violine.

Dann verschwand sie im Geigenkasten.

Ein Italiener. Groß, verschwenderisch schlank, pechschwarze Haare.

Klassisch gezeichnetes Gesicht. Hohe Wangenknochen.

Lippen, die lächelten, auch wenn sie still standen.

Er war hier fremd.

Der Lärm der Strasse spiegelte sich in seinen braunen Augen.

Lärm?

Er hörte nur Musik.

Kein Lärm.

Das Stakkato der Großstadt verlor sich in einem Adagio.

Albinoni vielleicht.

Er summte den zweiten Satz.

Die Zeit verlangsamte sich.

Bis sie anfing, rückwärts zu laufen.

Nemo stand auf. Erst einmal eine rauchen.

Er stand allein auf dem Flur vor dem Konferenzraum.

Die Teppiche schluckten jedes Geräusch. Unheimlich, fast kalt war es. Steril bis auf die kleinen Flecken auf den schönen Teppichen, Lesezeichen im Buch der Erinnerungen.

Heute trug er Businesslook. Schwarzes Jackett, beige Hose, maßgeschneidert, macht schlank.

Der Sekundenzeiger der weißen Plastikuhr an seinem Arm fraß sich durch die Zeit.

„Die wollen meine Firma kaufen!“
„Klar, ich will sie ja verkaufen!“

„Haben die die Kohle überhaupt?“

Gedanken zogen durch den Rauch seiner Zigarette. Jemand brachte ihm einen schwarzen Kaffee.

Kaffee … seine Mutter trank gern Kaffee.

„Ich bin stolz auf Dich“, sagte sie.

Sie würde nie sagen „Ich liebe Dich“.

Nemo wusste, dass das aber so gemeint war.

So bekam er ein Gespür für das, was hinter Gesten liegt.

Nemo drückte die Zigarette aus.

„Komm, jetzt geht es in die Schlacht“, hätte er zu einem Freund gesagt.

Worum es eigentlich ging, dämmerte ihm … er wollte es nur noch nicht für sich formulieren.

„Der Drops hier ist noch nicht gelutscht!“, dachte er.

Nemo ist vorsichtig und klug.

Gedanken an den Geiger am Morgen griffen nach ihm, als er wieder ins Meeting ging.

Die Violine hatte ein Bild in seine Seele gemalt.

Irgendetwas Italienisches.

Melancholie oder Zitronenbäume.

Salziger Geschmack, Wind vom Meer.

Wie die Geschichte weitergeht, erfahren wir - wie immer - am nächsten Dienstag ...



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